Als die Boney M.-Leadsängerin Liz Mitchell den Evergreen "Rivers of Babylon" anstimmt, strecken 4000 begeisterte Vietnamesen die Arme in die Luft und singen lautstark den Refrain mit. Die Szene aus dem bummvollen National Convention Center in Hanoi geht seit 2016 um die Welt: Auf Youtube ist zu sehen, wie umjubelt die in den 1970er Jahren von Hit-Schmied Frank Farian gegründete Disco-Formation in Vietnam bis heute ist.

Die Begeisterung für Songs von "Daddy Cool" über "Ma Baker" bis "Rivers of Babylon" ist in dem Land am Mekong ungebrochen, Boney M. treten dort regelmäßig live auf. Auch ein Hanoi-Gig von Thomas Anders mit den Superhits von Modern Talking war vor fünf Jahren komplett ausverkauft, obwohl die Tickets rund 40 Euro kosteten - eine stolze Summe in dem südostasiatischen Land.

Als Anders den Superhit "Cheri Cheri Lady" singt, gibt es im Saal kein Halten mehr. Ganz jung ist das Publikum nicht mehr, es sind eher Menschen gekommen, die mit den Hits von Dieter Bohlen und  Anders aufgewachsen sind. "Ich bin ganz verrückt nach Modern Talking", sagt Pham My An, eine 47-jährige Modedesignerin, die die Konzerte beider Bands in ihrer Heimat erlebt hat. "Thomas Anders", verrät sie, "hat immer noch die Macht, mir gute Laune zu machen und mich zu dieser vertrauten, leidenschaftlichen Musik tanzen zu lassen." Anders tritt dort übrigens unter dem Titel "The Gentleman of Music" auf.

Boney M. gehörte zu den wenigen internationalen Bands, deren Musik es in den 1980er Jahren bis nach Vietnam schaffte. Ihnen folgten andere deutsche Popgrößen, neben Modern Talking etwa Sandra ("Maria Magdalena"). Auch die glänzenden, extravaganten Disco-Outfits aus dieser Zeit fanden damals eine ungewöhnlich große Anhängerschaft.

Wie die westlichen Klänge an den Mekong gelangten: Das ist eine Geschichte der Umwege. Nach einem jahrelangen, blutigen Krieg mit mehreren Millionen Toten war Vietnam erst 1976 wiedervereinigt worden. Das Land war kommunistisch regiert - viele in den 1960er Jahren geborene Vietnamesen gingen damals zum Studium in die Sowjetunion und andere osteuropäische Länder, wo sie erstmals mit westlicher Musik konfrontiert wurden.

Vor allem auch aus Deutschland. 1978 traten Boney M. ja sogar in Moskau auf. "Die Studenten brachten die Musik dann mit zurück nach Vietnam und ließen sie ständig laufen. Bis heute ist es Tradition, diese Musik bei fast allen Hochzeiten zu spielen", sagt Bui Xuan Loc, der Sänger einer populären Indieband aus Hanoi.

Lokalen Medien zufolge geht gerade Boney M.'s riesige Fangemeinde in Vietnam aber vor allem auf die Fußball-WM in Spanien im Jahr 1982 zurück. Die Rundfunkstationen spielten damals ihren Hit "Rasputin" quasi in Dauerschleife. Millionen vietnamesischer Fußballfans kamen so auf den Geschmack. Uns so hat ausgerechnet Disco aus Deutschland eine ganze Generation geprägt.

Laut den Angestellten eines Plattenladens in Hanoi gab es in den 1990ern kaum einen Club in der Hauptstadt, in dem nicht auf "Rasputin" getanzt wurde. Die Vinyl-Version des Albums "Nightflight to Venus", auf dem der Song zu finden ist, ist mit einem Preis von mehr als 30 Euro eine der teuersten Schallplatten im Geschäft. Die 28-jährige Tran Ngoc glaubt, dass ein Ende des vietnamesischen Disco-Fiebers nicht in Sicht ist. Auch, oder vielleicht gerade weil das Genre und seine eingängigen Gassenhauer für viele untrennbar mit Erinnerungen an die Jugend verbunden sind. "Noch heute reicht es für mich, die Melodien von Modern Talking zu hören - und plötzlich bin ich wieder Kind." Da geht es ihr also gleich wie vielen Kindern der 70er und 80er hierzulande.