Die Riemchensandalen hat Andrea Berg längst ausgezogen. Barfuß, im gelben Sommerkleid, hat sie es sich auf der Couch in einer Suite des Wiener Marriott-Hotels bequem gemacht. Hier empfängt „die Andrea“ Fragesteller, um über ihr neues Album zu sprechen. Bevor es losgeht mit den Fragen, zückt sie ihre Polaroidkamera - „ich will jede dieser Begegnungen festhalten“. Auf dem Couchtisch liegen bunte Mosaiksteinchen für die Gäste bereit. Für die Kleine Zeitung gibt es eines in Türkis.

Der Albumtitel „Mosaik“ ist eine Metapher: für das Leben, das aus glitzernden, aber auch aus dunklen Steinchen zusammengesetzt ist. Was sind die dunklen für Sie?

Andrea Berg: Die Metapher finde ich wunderschön: Wenn der eine vor dem - vermeintlichen - Trümmerhaufen aus den Katastrophen seines Lebens steht, hat der andere längst entdeckt, das sind keine Scherben, das sind Diamanten, Glücksfälle in Verkleidung. Die Katastrophen im Leben sind oft gar keine. Was daraus wird, müssen wir selber erkennen.

Der Themenkomplex „Aufstehen, Krone richten und weitermachen“ kommt immer wieder vor. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Ich lebe eine Partnerschaft in wunderbarer Harmonie, das war nicht immer so. Für mich war oft wichtig, mich mit meinen Songs zu therapieren - ich habe auch immer ein Buch für Notizen dabei. Wenn man da später nachliest, merkt man, dass nichts ohne Grund passiert ist.

Neben DJ Bobo und Dieter Bohlen hat am Album auch Xavier Naidoo mitgearbeitet. Wie sind Sie zusammengekommen?

Er wollte mich 2016 unbedingt für „Sing meinen Song“ haben, er kam zu mir ins Büro und meinte: „Die Leute wissen gar nicht, was du für tolle, tiefgründige Songs hast.“ Ich habe abgelehnt, das ist nicht mein Ding. Aber wir haben erkannt, wie sehr wir uns schätzen. Als er mit mir beim „Heimspiel“ unsere gegenseitigen Lieblingsnummern im Duett gesungen hat, war das für mich der emotional intensivste Augenblick meiner Karriere. Ich konnte kaum mehr Luft holen - es war pure Energie, unglaublich.

„Ich bin wegen dir hier", das Duett mit Naidoo auf „Mosaik“, haben Sie bis zuletzt geheim gehalten. Warum?

Weil es zu wertvoll ist. Das ist ein großes Geschenk von ihm an mich und von uns an die Menschen. Wir sind im Studio zusammen am Teppich gesessen, haben uns treiben lassen. Das hört man auch. Da ist nichts zwischen uns. Es ist reine - ja, man kann sagen, Liebe.

Wie sehr sind Pop und Schlager zusammengewachsen?

Ich würde sagen, dass da noch einige Türen zu sind, aber die Übergänge sind fließend. Ich habe auch schon mit Lionel Richie gesungen. In den USA sehen die Leute das nicht so: Die machen alle zusammen Musik.

Wie wichtig ist es im Schlager, Trends mitzumachen?

Ich höre selbst ganz wenig Musik, für mich ist die Stille ganz wichtig. Dennoch muss man auch schauen, dass man dranbleibt - meine Tochter macht mich manchmal auf neue Musik aufmerksam. Ich habe großen Spaß daran, Songs neu aufzunehmen, was wir mit „25 Jahre Abenteuer Leben“ begonnen haben. Das Schöne ist, dass die Menschen den Weg mit mir mitgehen.

Ihre Tochter Lena ist 20. Wie war es für sie, mit einer Schlagerstar-Mama aufzuwachsen?

Sie würde sagen, das war manchmal richtig peinlich. Aber auch DJ Bobo hatte als Popstar das gleiche Problem. Inzwischen sind wir darüber hinweg, mein Kind ist so stolz auf mich, wie ich auf es bin, wir zwei sind wirklich so dicke miteinander. Meine Mama lebt auch bei uns, drei Generationen zusammen, das ist sowieso das Beste. Da kann dir nichts mehr passieren.

Andrea Berg mit neuem Album: "Musik immer als Leidenschaft gelebt"

Von Wolfgang Hauptmann/APA

"Mosaik" sei "der Beweis, dass nichts im Leben durch Zufall passiert", betonte Berg. Denn zweieinhalb Jahre lang habe sie Lieder für ein neues Album geschrieben, mit 32 Komponisten gearbeitet, 250 Songs angehört und 25 ausgewählt. Als Albumtitel stand "Träume" fest, auch das Cover war fertig. "Aber ich hatte so eine innere Unruhe, irgendwie passte das alles nicht zusammen, es fehlt etwas", erzählte die 53-Jährige. "Ich dachte, ich bin keine Träumerin, ich lebe das Leben." Und dann plötzlich habe sie an einem Abend die Zeile "in jedem Scherbenmeer seh' ich ein Mosaik" niedergeschrieben.

"Klar, das ist das Leben, das Leben ist ein Mosaik", seien ihre Gedanken gewesen, "es ist unberechenbar, es gibt Scherben, aber die sind bunt, keine Scherbe ist wie die andere. Jeder Tag ist ein neues Geschenk, ein neues Abenteuer. Da habe ich alles weggeschmissen und gesagt: Das ist der Titelsong!"

Klare Botschaft

Dem Schlager wird oft vorgeworfen, eine heile Welt vorzugaukeln. Andrea Berg will ihrem Publikum gar nicht erzählen, dass alles gut ist, Songs wie "Steh auf" oder "Ab sofort wird gelebt" haben aber eine klare Botschaft: "Man soll bewusst leben!", so die deutsche Entertainerin. "Nichts ist schlimmer, als wenn man sein Herz am Montag an der Stechuhr abgibt, sich die ganze Woche über Tagträumen hingibt und sich am Freitag sein Herz wieder abholt. Ob ich den Freitag noch erreiche, weiß ich ja nicht. Deswegen soll man das Leben als das nehmen, was es ist - ein großes Abenteuer. Und nie vergessen, dankbar zu sein. Hören wir doch auf, Erwartungen hinterherzulaufen. Wir müssen jetzt lebendig sein, alles mit Liebe ausfüllen."

Dieter Bohlen arbeitete an drei Songs auf "Mosaik" mit Berg zusammen. Über ihn sagte sie: "Ich kann mit Dieter Bohlen über den Sinn des Lebens reden." Mit Xavier Naidoo gibt es sogar ein Duett. "Xavier war die emotionalste Begegnung in meiner musikalischen Karriere, weil dieser Mensch so viel Spiritualität hat", sagte die Sängerin. Bedenken, weil Naidoo wegen diverser politischer Äußerungen ins Schussfeld geraten war, hat sie nicht.

Ebenfalls seine Spuren auf "Mosaik" hinterlassen hat DJ Bobo. Im Gegensatz zu mancher Kollegin ist Berg dem Schlager aber trotz Eurodance-Anklängen recht treu geblieben. "Wir probieren natürlich Sachen aus, auch bei älteren Liedern", erwiderte die Sängerin. Wenn du 26 Jahre lang 'Hoch auf dem Kilimandscharo, da liegt im Sommer noch Schnee' singst, hast du irgendwann mal Bock, etwas zu verändern. Eine geile Melodie, einen geilen Song kannst du instrumentieren, wie du willst. Du musst nur aufrichtig sein. Die deutsche Sprache hat so viel mehr als das, was der Schlager früher transportiert hat. Heute ist ja alles fließend. Mache ich deutschen Pop? Oder Schlager? Oder Volksmusik? Alles stimmt, das ist das Schöne."

Dass sie zwei Jahre an "Mosaik" gearbeitet habe, sei nicht der größer gewordenen Konkurrenz geschuldet, betonte Berg. "Für mich ist Erfolg nicht mit einer Erwartung verbunden. Ich lasse mich auch gerne treiben. Ich bin lebendig und keine Maschine, die jeden Tag einen Song schreibt. Wann kommt das Album? Wenn ich es fertig habe, wenn ich damit zufrieden bin. Deswegen habe ich null Druck. Ich musste zum Glück nie von der Musik leben, ich hatte immer einen echten Beruf. Da kann man mich jetzt auslachen, aber Musik ist nicht mein Beruf, sondern meine Passion, mein Hobby. Vielleicht habe ich deshalb über die vielen Jahre durchgehalten."

Die kommende Tour führt Andrea Berg auch durch Österreich. Eine Spektakel könne man "unbedingt" erwarten, versprach Berg, sagte aber zugleich: "Bei der Seele müssen wir ansetzen, dann können wir etwas Großes schaffen. Wenn ich mich nicht mit nackten Füßen an den Bühnenrand setzen kann, begleitet von einer akustischen Gitarre, wenn man nicht in der Halle eine Stecknadel fallen hören kann, weil die Leute bewegt sind, brauchen wir auch keine Raketen vom Dach schießen. Das ganze Wettrüsten bringt überhaupt nichts, wenn du nicht im Kern echt bist und die Menschen überzeugst, indem du sie abholst und sie berührst."

Und daher ist die Frage nach dem größten Glück für die Schlagerkönig prompt beantwortet: "Wenn die Leute nach der Show sagen: 'Andrea, wir haben getanzt, gelacht, geweint, wir hatten Gänsehaut, es war ein wunderschöner Abend.' Dann gehe ich nach Hause und sage: 'Danke lieber Gott, mehr will ich nicht.'"