Laut Kalender sind wir in der besinnlichsten Zeit im Jahr. Wie nehmen Sie das wahr?
THOMAS GEIERSPICHLER: In einer konsumgetriebenen Zeit wie vor Weihnachten wird es einem aber tatsächlich schwer gemacht, besinnlich zu sein und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren – gerade auch weil es schon immer früher beginnt in den Geschäften. Aber in einem Jahreszyklus von 365 Tagen liegt es an einem selbst, wann und ob man den Fokus behält auf das, was wirklich wichtig ist.

Was ist wichtig?
Der wahre Wert wäre die Vorfreude auf die Geburt Jesu. Um das sollte es eigentlich gehen.

Wie fokussieren Sie sich?
Ich habe den Glauben. Das gelingt natürlich nicht immer. Aber wenn man gar keinen Fixstern oder Anker in seinem Leben hat, ist es schwer, sich nicht mitreißen zu lassen.

Aber das Sich-besinnen-Können, also auf seine Sinne zu hören und ehrlich zu sich zu sein, kann einem viel Kraft abverlangen. Fehlt uns die?
Das zu behaupten beziehungsweise zu sagen, wir werden nur von außen zugeschüttet, wäre für mich zu einfach. Es liegt nur an einem selbst, ob man sie erkennt und sich darauf einlässt und für diese Kraft öffnet. Weihnachten ist ja nur ein Synonym für Situationen im Leben, wo man Hoffnung und Sinn im Leben verloren hat und glaubt, es geht nicht mehr. Weihnachten kann man jeden Tag erfahren. Das jetzt ist ja nur ein geschaffenes Fest.

Wie haben Sie Ihr Weihnachten gefunden?
Nach meinem Unfall bin ich jahrelang mit Alkohol, Zigaretten und Drogen immer weiter von mir weggedriftet und habe den Sinn und die Hoffnung in meinem Leben verloren. Dann hat es eine entscheidende Begegnung gegeben. Ein Bekannter hat mich gefragt, wie es mir geht. Ich habe reflexartig reagiert und geantwortet: Passt schon! Er hat aber nicht lockergelassen und gesagt, er möchte wissen, wie es mir wirklich geht. Das war das erste Mal, dass ich den Blick nach innen gewandt habe, um mein Leben zu reflektieren. Zum ersten Mal habe ich mich damals selbst gefragt, wie es mir eigentlich geht.

Was war die Antwort?
Es geht mir scheiße. Ich bin schwer querschnittgelähmt. Dabei will ich auch wieder gehen und Fußball spielen können, laufen und tanzen können. Aber ich habe auch gewusst, dass ich nie wieder mein altes Leben haben werde. Sinn war da keiner mehr da.

Wie haben Sie ihn wieder gefunden?
Indem ich davon überzeugt bin, dass es immer eine Lösung gibt. Das ist es ja, worauf wir mit unserem Glauben zu Weihnachten warten: auf den Erlöser.

Tatsächlich warten viele nur auf das neue Smartphone.
Ja, man lebt zunehmend nur noch dafür, dass man von außen gut wahrgenommen wird mit dem noch schöneren Foto auf Instagram, dem noch cooleren Posting auf Facebook. Parallel redet einem die Werbung ein, was man noch alles haben muss, damit es einem besser geht. Dadurch verlernen wir, der inneren Stimme zuzuhören. Aber sie meldet sich, auch wenn man sie nicht gleich zu deuten weiß. Wenn man ganz ehrlich zu sich ist, spürt man im Bauch die Sehnsucht, was man in seinem Leben eigentlich wirklich machen möchte.

Was bremst einen?
Wir schleppen alle einen Rucksack mit uns, in den man laufend Dinge hineinsteckt, die man akzeptiert, obwohl man sie eigentlich nicht will. Dinge, mit denen man die Erwartungen anderer zu erfüllen glaubt. So wird dieser Rucksack immer schwerer. Wir machen dann irgendwelche mentalen Kraftübungen, damit wir den Rucksack länger tragen können. Aber irgendwann zwingt einen das Gewicht in die Knie.

Was kann man dagegen tun?
Das Einzige, was hilft, ist, den Rucksack vor sich auszuleeren. In dem Moment passiert schon eine große Erleichterung und es wird einem klar, wie viel Blödsinn man eigentlich mit sich herumschleppt. Meist hat man es eh gewusst, aber halt so getan, als würde man es nicht wissen und spüren. Im christlichen Glauben können wird das vor dem Kreuz ablegen. In diesem Moment bist du authentisch, weil nichts anderes mehr da ist außer du selbst. Dann bist du der, der du wirklich bist – und nicht der, der du sein möchtest. Das kann einem dann gefallen oder nicht. Es ist auch völlig egal, ob man mit gewissen Dingen in seinem Leben zufrieden ist oder nicht: Es ist so, wie es ist. Deshalb braucht es einen Anker oder Fixstern, auf den man jederzeit zugreifen kann. So bekommt man wieder eine Perspektive im Leben.

Denken wir zu klein?
Vielleicht. Das große Ganze und der lange Atem gehen uns ab. Ich glaube, wir denken zu subjektiv und lassen uns kurzfristig von Umständen, die gerade nicht passen, leiten. So hat man verloren. Ich möchte dazu ermutigen, standhaft zu bleiben, die Hoffnung nicht aufzugeben und Visionen zu haben. Oft gehören Niederlagen dazu, um daraus zu lernen. So ist das Leben.

„Glück besteht darin, nicht zu vergleichen“, heißt es. Aber Wettkampfsport ist doch die Urform des Vergleichens.
Das stimmt nur bis zu einem gewissen Grad. Deshalb gehe ich nicht in einen Wettkampf, um jemanden zu schlagen. Ich konzentriere mich auf mein eigenes Rennen und versuche, eine Leichtigkeit hineinzubekommen – bei aller Wichtigkeit, man trainiert ja nicht jahrelang auf etwas hin, um dann zu sagen, es ist mir wurscht, was passiert. Weil sonst verkopft man es zu sehr und verkrampft und dann geht viel weniger. Ich sehe es immer wie ein Spiel, in dem ich eben als Erster über die Ziellinie fahren will. So liegt mein Fokus auf mir selbst und ich schaue nach vorne Richtung Ziel. So fließt positive Energie. Wenn ich dagegen auf die anderen schauen würde mit dem Ziel, sie schlagen und eliminieren zu müssen, liegt der Fokus auf den anderen und wäre mit negativer Energie gefüllt.

Sind Sie heute der, der Sie gerne sein möchten?
Diesen Gedanken darf ich eigentlich nicht haben. Vielmehr muss ich den annehmen, der ich bin. Freilich würde ich gerne wieder gehen, tanzen und Fußball spielen können – aber wenn ich immer nur das Bild vor mir hätte, was ich gerne sein würde, dann kann mich das frustrieren. Das heißt aber nicht, dass ich das gut finde, wie es ist. Ich kann es eben nicht ändern. Was ich aber ändern kann, ist meine Einstellung. Will ich hoffnungslos weitergehen oder will ich – obwohl alles dagegen spricht – Hoffnung kreieren?

Ein weihnachtliches Ziel.
Vielleicht. Mich lässt so eine Einstellung jedenfalls mehr schaffen, sie macht mich glücklicher, ich kann damit nur gewinnen. Die Uhr tickt ja trotzdem, die Zeit vergeht trotzdem. Und wenn ich sterbe, habe ich zumindest subjektiv bewusst hoffnungsvoller gelebt. Am Sterbebett ist einem nicht wichtig, ob man einen geilen Ferrari in der Garage stehen oder ein sauteures Gucci-Tascherl hat, sondern ob man im Reinen mit seiner Familie, mit seinen Freunden, mit sich selbst ist.