Niemals hätte ich gedacht, dass das Rad noch einmal so weit zurückgedreht werden könnte, aber die Taliban sind dabei, das Land in sehr dunkle Zeiten zu katapultieren“, schreibt die mittlerweile in Deutschland lebende gebürtige Afghanin Nahid Shahalimi in ihrem soeben erschienenen Buch „Wir sind noch da! Mutige Frauen aus Afghanistan“, in dem sie 13 afghanische Frauen porträtiert.
Wer gehofft hatte, dass die Taliban nach ihrer Machtergreifung im August moderater auftreten würden, wurde enttäuscht: Laut „Amnesty International“ ist Afghanistan mittlerweile weltweit wieder das schrecklichste Land für Frauen. Die Menschenrechtsorganisation berichtet, dass die Islamisten so ziemlich alles, was es in den vergangenen 20 Jahren an Verbesserungen für Frauen gab, zunichtegemacht haben. Frauen sind ihren gewalttätigen Männern wieder ausgeliefert, denn sämtliche Frauenhäuser wurden geschlossen, und Mädchen wird der Zugang zu Schulen praktisch wieder unmöglich gemacht. Nur die Grundschulen sind frei zugänglich.

Aber: „Wo Ruinen sind, gibt es Hoffnung auf einen Schatz.“ Dieses Zitat des persischen Mystikers Rumi ist für Fereshteh Forough symbolisch für das Schicksal von Frauen in Afghanistan. Für die Informatikerin, die auch „Code to Inspire“ gegründet hat, die erste Programmierschule für Mädchen in Afghanistan, steht fest: „Wie viele Gesetze und Einschränkungen es in Zukunft auch geben wird, ich als Informatikerin und Ausbildnerin kann mit einem Laptop und einer Internetverbindung eine Menge Dinge tun, unabhängig davon, wo ich gerade bin.“ Für Fereshteh Forough sind die Mädchen Afghanistans die Schätze, die sich in den Ruinen der eingestürzten Hoffnungen verbergen. Die Computerspezialistin ist davon überzeugt, dass das Land ohne die Frauen nicht auskommen wird, dass kein Land ohne Frauen auskommt. „Ich versuche mein Bestes, um die Arbeit, die wir leisten, fortzusetzen“, sagt sie.

In der Vorwoche demonstrierten Dutzende Frauen in Afghanistans Hauptstadt Kabul für ihre Rechte, forderten Zugang zu Bildung und Arbeit. Die Teilnehmerinnen skandierten: „Lebensmittel, Karrieren und Freiheit“. Einige hielten Plakate in die Höhe, auf denen Zugang zu politischen Ämtern gefordert wurde. Seit August waren derartige Kundgebungen nicht mehr zulässig, aber diesen Protest hatten die Taliban nicht verhindert. In einem ihrer letzten Dekrete wiesen sie Organisationen, religiöse Gelehrte und Älteste sogar an, ernsthafte Maßnahmen zur Durchsetzung von Frauenrechten zu ergreifen. Wörtlich hieß es darin: „Eine Frau ist kein Eigentum, sondern ein edler und freier Mensch.“

Die Auslandsreporterin des „Spiegel“, Susanne Koelbl erklärt: „20 Jahre lang haben die afghanischen Frauen sich entwickelt und qualifiziert und mitgeredet. Viele haben die neuen Chancen genutzt, der Himmel war die Grenze, zum Beispiel für die afghanischen Pilotinnen.“ Nach der Machtübernahme der Taliban ende die Grenze für Frauen wieder „nur wenige Meter vom Herd entfernt an ihrer Haustür“.
Aber Afghanistans Frauen werden das nicht mehr so einfach hinnehmen. Wer einmal von der Freiheit gekostet hat, und war’s auch nur ein winziges Stück, wird den Geschmack nie mehr vergessen. „Wir müssen gehört werden“, ist auch Nahid Shahalimis Appell in „Wir sind noch da!“. Die Frauen in und aus Afghanistan bräuchten kein Mitleid und kein Bedauern, sondern „eine Plattform, Unterstützung und Solidarität“.
So viele Experten würden über Afghanistan sprechen, doch Expertisen aus erster Hand komme von den Frauen aus Afghanistan.