Am Horizont zaubert die müde Wintersonne ein zaghaftes Glühen ins Wolkenband, die Luft ist rein und klar, ringsum grüßen verschneite Hänge, die Almen sind wie in Watte gepackt, unendliche Stille begleitet den Blick in die Ferne. Das ist Advent pur, da braucht es keinen Aufputz. Gediegen liegt das Anwesen vulgo Tschrepl in Osterwitz da. Hühner scharen im aufgetauten Schnee oder leisten im Stall den acht Mutterkühen aus einer friedfertigen Rasse Gesellschaft. Ein ausgetretener Pfad führt zum Gatter des Damwilds. Man möchte meinen, es stehe bereit, um vor einen märchenhaften Weihnachtsschlitten gespannt zu werden. Doch beim leisesten Hauch eines Fremdlings stürmen die Tiere davon.

Im Vorhaus empfängt den Besucher eine überbordende Trophäenschau, davor steht Almbauer Gottfried Unger und beteuert, dass er es nicht so mit dem Schießen habe und im Gegensatz zu seinen Brüdern auch nie ein herausragender Schütze gewesen sei. Natürlich stapft der Waidmann ins Revier, aber nur „zum Schauen“. Schließlich möchte er schon wissen, was sich wo bewegt. Wir haben es also laut Eigendefinition mit einem „Anti-Jäger“ zu tun, der über eine 135 Hektar große Eigenjagd verfügt. Eine außergewöhnliche Konstellation. Nicht die einzige, wie ein kurzer Blick in die Biografie des 72-Jährigen zeigt: Er ist Fisch- und Wildzüchter, Biobauer, Hobbygärtner, beherrscht Klarinette und Saxofon, die Kochkunst sowieso, war Vizebürgermeister und ist glühender Anhänger der Wiener Volksoper.

Das Damwild
Das Damwild © (c) Juergen Fuchs (FUCHS Juergen)

Im gesetzten Herd in der Stube, Lieferant von feinem Schweinsbraten und bestem Bauernbrot, prasseln die Holzscheite. Bevor Solaranlage und Fernwärme Einzug hielten, lief auch die Warmwasseraufbereitung über das Prachtstück von Herd. „Ich lebe in der Einschicht und liebe das Almleben, ich hätte nie tauschen mögen“, beteuert der Vielseitige.
Dennoch, der Lockdown reicht auch bis in die letzten Winkel auf der Alm.
Die Kartenrunden beim Trifftweber sind abgesagt. Und die Abstecher in die Volksoper in Wien als Adventhöhepunkte sind auch Geschichte. Schweren Herzens hat Unger nach 25 Jahren sein Abo gekündigt. Er habe in der Abgeschiedenheit immer sehr lange von den Theatervorstellungen gezehrt, sagt der Kunstfreund ein bisserl wehmütig.

Auch die Tiere wollen versorgt werden
Auch die Tiere wollen versorgt werden © (c) Juergen Fuchs (FUCHS Juergen)

Wir gestatten uns einen Blick zurück in den Advent von seinerzeit. „Oftmals wurde nicht einmal der Schnee abgebaut“, erzählt Unger. War auch nicht notwendig: „Wir sind meist nur einmal im ganzen Winter in die Bezirksstadt nach Deutschlandsberg gekommen.“ Alles Notwendige wie Mehl, Salz, Zucker seien rechtzeitig in ausreichenden Mengen eingelagert worden. „Und wenn die Germ ausgegangen ist, war eben keine mehr da.“
Früher wäre diese Hektik nicht allgegenwärtig gewesen, überlegt Unger. Ziemlich nervig empfindet er zuweilen die heutigen Kommunikationsformen: „Alle fünf Minuten tscheppert es.“ Er selbst besitzt zwar auch ein Handy, führt es aber nur für eventuelle Notfälle bei sich, wenn es etwa in den Holzschlag geht. Sein Umfeld weiß ohnehin, dass er morgens und abends verlässlich am Festnetz erreichbar ist.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Unger ist keine Technikgegner, hat er doch einst selbst dafür gesorgt, dass Osterwitz flächendeckend Telefonanschlüsse bekam. Und in der guten Stube beim vulgo Tschrepl steht auch ein PC.

Aber er will sich nicht versklaven lassen und genießt gerade in der stillen Zeit sein stressfreies Dasein. Da gibt es auch die Gelegenheit, Kindheitserinnerungen nachzuhängen. Im Winter wurden Pisten getreten und Schanzen gebaut. An die Eschenschi, die der Vater für seine drei Söhne gemacht hat, erinnert er sich noch gut, denn die Brettln verfügten bereits über aufgenagelte Stahlkanten. Da waren die „Holm-Buam“ Chefs auf der Piste. Allerdings nicht sehr lange, denn die Ski-Industrie schlief nicht, alsbald gab es die Sportgeräte auch zu kaufen.
Ein Bruder hat studiert, Gottfried wurde daheim als Arbeitskraft gebraucht und übernahm schließlich den Hof einer entfernten Verwandten. Darum musste eine Ausbildung in der landwirtschaftlichen Fachschule reichen. Der Berufswunsch Tierarzt oder Koch wurde ad acta gelegt.

Tierische Gesellschaft auf der Alm
Tierische Gesellschaft auf der Alm © (c) Juergen Fuchs (FUCHS Juergen)

Sein Kochtraum erfüllte sich schließlich im Almgasthaus seines Bruders, wo er 20 Jahre die Küche dirigierte. Und die heilende Hand fürs liebe Vieh kann Unger allemal bei seinem Tierbestand anwenden, das Wissen dazu hat er sich sozusagen im Selbststudium angeeignet.
Der Waldbesitzer verschenkt gerne Christbäume, aber nicht an jene, für die nur perfekte Geschöpfe wie auf dem Reißbrett gewachsen infrage kommen. Er selbst beschafft sich den Christbaum eher beiläufig. „Beim Holzschlägern nehme ich gern einen passenden Wipfel mit“, lässt der Forstwirt durchblicken, dass er es nicht so mit exquisiten Baumschönheiten hat. Aus der Tannenspitze wird in der Stube allemal ein bunter, glänzender Christbaum, unter dem das alpenländische Kripperl seinen Platz findet.

Das ist dann die besinnliche Weihnachtszeit für einen, der in einem Bauerngasthaus aufgewachsen ist, wo immer alles öffentlich und für persönliche Zuwendungen wenig Zeit war. Selbst am Heiligen Abend saßen Fremde am Tisch, wenn die Eltern einsame Gäste bewirteten. Das könnte man auch Herbergssuche nennen.