Die Betriebstemperatur ist zwar gesunken, aber die Nacht hat noch immer Fieber. Und wenn am 1. Juli (voraussichtlich) die Clubs wieder aufsperren dürfen, wird das „Night Fever“ auf die Tanzflächen übergreifen, und verschwitzte Körper werden heftig zucken und zappeln. Vielleicht zu den Klängen von Parov Stelar: „Keep on dancing, dancing, dancing.“
Musik + Tanzen = Disco. Die 60er-Jahre waren verrockt, die 70er verrucht. So sahen das zumindest die Sittenwächter damals. Die Anfänge der Disco-Musik als Lebensstil liegen in der schwul-lesbischen Szene New Yorks. Nachdem 1969 nach Protesten und Unruhen im Greenwich Village („Stonewall Riots“) das Tanzverbot für gleichgeschlechtliche Paare aufgehoben wurde, entwickelte die Community Selbstbewusstsein, und ein Ort, wo das ausgelebt wurde, hieß Discothek.



Es entstanden Clubs und Bars, in denen eine brodelnde Mischung aus Pop, Funk und souligem Phillysound gespielt wurde. Nicht raffinierte Texte und vertrackte Melodien waren jetzt gefragt, die Tanzbarkeit stand an oberster Stelle. Und damit der Puls der Tanzwütigen beschleunigt wird, musste die Geschwindigkeit der Musik stimmen. Anfangs noch um 90 bis 110 bpm (beats per minute), zog das Tempo bald merklich an. Die durchschnittliche Disco-Nummer bewegt sich zwischen 120 und 130 bpm.



Getanzt wurde zu den Songs von Van McCoy („The Hustle“), Chic („Le Freak“), Gloria Gaynor („Never Can Say Goodbye“), und wenn Donna Summer ihr „I Feel Love“ in die Disco-Tempel hauchte, bekam sogar die silberne Glitzerkugel ein rotes Gesicht. Bald schon entwickelte sich Disco-Musik zum weltweiten Phänomen mit einer starken europäischen Ausprägung – Stichwort Giorgio Moroder. In Deutschland haben Frank Farians Boney M. einen auf „Daddy Cool“ gemacht, Silver Convention ließen ihren „Robin“ fliegen, und ein gewisser Dieter Bohlen hat mit „Modern Talking“ den Disco-Sound sogar ins nächste Jahrzehnt, die 80er, geschleppt.


Aber zurück in die 70er: Endgültig zum Massenphänomen wurde Disco 1977 mit dem Film „Saturday Night Fever“. Der junge John Travolta im heute noch ikonenhaften weißen Anzug, die fiepsigen Dancefloor-Feger der Bee Gees waren der Höhepunkt einer Bewegung, deren Hedonismus und Offenheit nur wenige Jahre später von einer anderen, allerdings todbringenden Welle überrollt wurde. Sie trug den Namen AIDS.
Unter Puristen hatte diese Musik freilich immer einen schweren Stand. Bald tauchten in New York Graffitis mit dem Schriftzug „Disco Sucks!“ auf, und Oberzyniker Frank Zappa schrieb einen bissigen, selbsterklärenden Song mit dem Titel „Dancing Fool“. Und Nelson George beschreibt in seinem (überaus lesenswerten!) Buch „R&B. Die Geschichte der schwarzen Musik“ den Tanz um die silberne Glitzerkugel so: „Diese Musik voll textlicher Idiotie hatte einen Beat wie von einem Metronom – perfekt für Menschen, die kein Rhythmusgefühl haben.“