Herr Bischof, Sie gelten als fußballbegeistert. Was ist für Sie so fesselnd an diesem Sport?
Wilhelm Krautwaschl: Die Atmosphäre im Stadion einerseits und andererseits, wie sich Menschen gemeinsam auf ein Ziel fokussieren können und welche Kräfte am Spielfeld manchmal frei werden. Die Begeisterung, mit der sich Leute beim Spielen wie auch beim Zuschauen da „reinhauen“, ist faszinierend. Dass man dafür einen Gegner braucht, den man niederringen möchte, ist eine andere Seite.

Haben oder hatten Sie einen Lieblingsspieler?
Wilhelm Krautwaschl: Das sage ich nicht, weil man glauben könnte, ich habe die anderen nicht gern. Und weil Fußball ein Mannschaftssport ist, kommt es ohnehin auf jeden an. Das ist wie in der Kirche.

Gut, kein Spieler. Aber dass Sie Sturm-Graz-Fan sind, ist bekannt.
Wilhelm Krautwaschl: Angeblich, ja. Aber ich gehe auch zu Spielen von Hartberg.

„Niemand kann zwei Herren dienen: Er wird an dem einen hängen und den andern verachten“, heißt es bei Matthäus. Das mit der Äquidistanz geht sich also nicht aus. Und die Farben Ihrer Kleidung verraten Sie ohnehin.
Wilhelm Krautwaschl: Das stimmt. Aber, aber, aber …

Aber?
Wilhelm Krautwaschl: Der eine Herr, dem ich diene, ist der liebe Gott und weder der Sturm-Präsident, noch die Hartberg-Präsidentin. Man muss da die Bibel im Dorf lassen.

Punkt für Sie.
Wilhelm Krautwaschl: Aber für mich ist es ohnehin oft weniger interessant, wer gegen wen spielt, sondern ob die Leute mit Herzblut dabei sind, ob es ihnen ein echtes Anliegen ist. Oder ob sie nur ihren Job machen. Für mich sind daher Spiele „David gegen Goliath“ das Schönste. Ich freue mich immer mit der eigentlich chancenlosen, kleineren Mannschaft, weil es zeigt, was möglich ist, wenn alle alles geben.



Wenn Ihre Mannschaft ein Tor bekommt: Hört man den Bischof auf der Tribüne dann fluchen?
Wilhelm Krautwaschl: (Lacht) Das hoffe ich nicht.

Man spricht von der „Religion Fußball“, Maradona sprach von der „Hand Gottes“, Superstars werden wie Götzen angebetet, der FC Barcelona hat eine Kapelle im Stadion: Wo hört die ehrliche Hinwendung zu Gott auf, wo beginnt die Selbstüberhöhung des Sports?
Wilhelm Krautwaschl: Dass Menschen da einem Ideal folgen – das ist einmal nichts Schlechtes. Wenn es Kapellen gibt, dann wissen sie, dass es Gott gibt und dass er etwas anderes ist, als sie selbst – das ist auch gut. Bei uns ist das Miteinanderleben ein Zeichen von Gott. Warum soll Fußball nicht eine Form davon sein? Wenn in der Emotion Überzeichnungen passieren, muss man das eben zur Kenntnis nehmen. In der Emotion bin ich manchmal auch nicht bei mir selbst.

Wären solche Momente aufs Spielfeld umgelegt mit einer roten Karte zu ahnden?
Wilhelm Krautwaschl: Das kann durchaus sein. Gerade wenn ich an die Schule zurückdenke. Abgesehen von Volleyball war ich ja eher ungeschickt. Da ist im Fußball bei mir selten ein Zweikampf ohne Foul ausgegangen. Nicht aus Absicht, sondern weil ich so langsam war und der Fuß eben stehen geblieben ist.

Haben Sie heute Verständnis für Fouls? Das sind ja eigentlich alles kleine Sünden. Oder für „Schwalben“, also dieses theatralische Hinfallen, obwohl gar nichts passiert ist? Das widerspricht doch dem achten Gebot „Du sollst nicht lügen“.
Wilhelm Krautwaschl: Das ist schon auch der Emotion geschuldet. Nicht dass ich das gutheiße, aber es ist halt – wie die Liturgie – ein Schauspiel. Es ist ja auch ein sich präsentieren.

Das Match als Liturgie?
Wilhelm Krautwaschl: Wie das alles zelebriert wird – das sind schon säkulare Liturgien. Da kommen Archetypen heraus. Vom Einzug über die Mitnahme des Balles bis zum Pokal, der hochgehalten, herumgereicht und abgebusserlt wird. In der Kirche gibt es das Trinken aus dem einen Kelch. Das sind ja alles Riten im besten Sinn, die einem das Gefühl geben, dazuzugehören und sich nicht erklären zu müssen. Das verbindet auch die Akteure am Spielfeld mit denen, die am Rand stehen und zuschauen.

Kann sich die Kirche da etwas vom Fußball abschauen?
Wilhelm Krautwaschl: Ich würde eher sagen, da hat sich der Sport manches von der Kirche abgeschaut.

Welche Rolle spielt der Bischof eigentlich im „Team Kirche“? Trainer? Wohl nicht, weil der, der die Anweisungen gibt, sitzt „einen Stock höher“. Spielertrainer, weil sie selbst aktiv sind? Kapitän?
Wilhelm Krautwaschl: Diese Vergleiche holpern alle. Theologisch ist der Priester jener, der Jesus repräsentiert – der also selbst mitten drin ist. Demnach am ehesten Spielertrainer, der auch darauf achtet, dass die Mannschaft zusammenfindet und zusammenhält.

Das ist die moderne Interpretation. Früher galten Priester als strenge Schiedsrichter, die Strafen und auch „Rote Karten“, also Ausschlüsse, verteilten.
Wilhelm Krautwaschl: Als Außenstehender hat man das vielleicht leider so wahrgenommen. Es geht aber nicht um einen Ausschluss, sondern um Orientierung. Das ist ähnlich wie im Fußball die sogenannte „Kabinenpredigt“.

Und die Rote Karte verteilt am Ende der liebe Gott?
Wilhelm Krautwaschl: Er verteilt sie nicht, er stellt es einem offen. Trotz der vielen Fehler, die man gemacht hat, hat einen Gott noch immer gerne. Er steht zu einem und stellt einen vor die Entscheidung, ob man in sein Reich eingelassen werden will. Vor Gott zähle ich auch dann etwas, wenn ich nicht perfekt bin. Das ist der Unterschied zum Leistungssport. Ich denke mir das oft, wenn ein Trainer rausgeworfen wird, weil ein paar Spiele etwas danebengegangen ist. So ist der liebe Gott nicht.

Haben Sie jemandem schon erfolglos die Abseitsfalle erklärt?
Wilhelm Krautwaschl: Ja, das passiert wahrscheinlich manchmal. Man kann sich grundsätzlich bei all diesen Regeln und Vorgaben – auch wenn es nichts bringt – fragen: Warum? Warum ein Elfmeter und nicht zwölf Meter? Wieso dauert eine Halbzeit 45 Minuten?

Warum sind es elf Spieler und nicht zwölf – also gleich viel wie Jesus Apostel hatte?
Wilhelm Krautwaschl: Ja, zwölf wäre natürlich die Vollkommenheit. So ist also keine Mannschaft vollkommen. Umgekehrt spricht man bei den Fans im Stadion vom „zwölften Mann“. Also passt es wieder.