Von wegen Franzosen ist die Romantik genetisch eingebrannt. Sie können auch anders – wie der Anfang des 19. Jahrhunderts lebende Autor Honoré de Balzac: „In jeder Beziehung gibt es einen, der sich langweilt, und einen, der weint.“ Schnörkelloser kann man eine Partnerschaft nicht sezieren, ernüchternder ihr Innenleben nicht beschreiben. Unabwendbar ist diese Entwicklung zwar keinesfalls – so weit ist man schon noch Herr im eigenen Gefühlshaushalt und über das eigene Verhalten. Aber einer zarten anerzogenen Grundierung durch die eigene Geschichte ist man dennoch ausgeliefert. Denn Bindungsstile basieren auf Kindheitserfahrungen. Deren Interpretation ist seit jeher ein dankbares Betätigungsfeld von Psychologen und Psychotherapeuten.

Schon deren „Gründervater“ Sigmund Freud stellte Anfang des 20. Jahrhunderts die damals revolutionäre These in den Raum, dass die Wahl des Liebes- und Lebenspartners im Erwachsenenalter von den Erfahrungen mit der wesentlichen Bezugsperson in der frühen Kindheit beeinflusst wird. Er treibt seine Theorie bis zur Erkenntnis, dass Mutter beziehungsweise Vater als Vorbild bei der späteren Partnerwahl dienen – „Objektfindung als Wiederfindung“ nennt er das wenig romantisch. Dem gegenüber stehe die narzisstisch geprägte Partnerwahl, also ein Gegenüber, das dem eigenen Ich möglichst ähnlich ist.
Ein halbes Jahrhundert später verfeinert der englische Kinderpsychiater John Bowlby diese Theorie. Er baut dabei nicht zuletzt auf den Forschungsergebnissen von Konrad Lorenz auf. Im Fokus: die Prägung des eigenen Bindungstyps durch die zentrale Bezugsperson in den ersten Lebensjahren.

Vereinfacht unterscheidet er zwischen sicherer und unsicherer Bindung. Reagieren Eltern beispielsweise unmittelbar, verlässlich und angemessen auf die Bedürfnisse des Nachwuchses, entwickelt das Kind eine sichere Bindung. Eine unsichere Bindung entstehe dagegen, wenn sich die Eltern eher gleichgültig verhalten, in für das Kind angsteinflößenden Situationen nicht da sind, generell nicht ausreichend auf das Kind eingehen oder umgekehrt sie das Kind überbehüten und es sich so nicht selbstständig entwickeln kann. Dieses in die Wiege gelegte Fundament prägt auch die Beziehungsmuster im Erwachsenenleben. Demnach fühlen sich Menschen mit einem sicheren Bindungsstil in engen Beziehungen wohl. Ein unsicherer Bindungsstil führe dagegen vermehrt zu Extremen: bei den einen zu einer Vermeidung von Nähe und einer Betonung der Eigenständigkeit. „Sie haben ihr Bindungssystem deaktiviert“, beschreibt es die deutsche Psychologin Eva Neumann.

Bei anderen prägt sich dagegen ein ängstliches, Nähe suchendes, „klammerndes“ Verhalten aus. Oft fehlt ein stabiles Selbstwertgefühl.
In Stein gemeißelt sind derartige Muster freilich nicht. Neue Erfahrungen können alte Bindungsstile „überschreiben“. Konfrontation mit den eigenen Ängsten, Ehrlichkeit zu sich selbst und Rationalität in Zeiten höchster Emotionalität sind dafür allerdings notwendig. Denn gerade am Beginn einer Beziehung, in der Phase des Verliebtseins, führt ein wilder Hormonmix aus Serotonin und Dopamin Regie. Wie ein Drogencocktail, der zu einem schmetterlingshaften Rausch der Gefühle führt.
Allein: Die Party endet irgendwann, die Lichter gehen an, der Kater setzt ein – die Normalität einer Beziehung greift Platz. Man kann in solchen Situationen zwar davonlaufen. Sein Bindungsverhalten und seine Handlungsmuster nimmt man auf dieser Flucht aber mit. Man entkommt sich nicht.