Alles Schwindel, alles Fake? Nach einer Studie der Universität Witten/Herdecke glauben 17 Prozent der Deutschen, dass Corona ein Schwindel sei. Das mag verstören, überraschen darf es nicht, denn die Bandbreite mentaler Reaktionen auf Krisen ist sehr weit. Sie reicht von ernsthafter Besorgnis über die Einschränkung der demokratischen Rechte bis zu ausgewiesenen Gegnern des „Systems“, die die liberale Demokratie zerstören und autoritäre Modelle erkämpfen wollen.

So heterogen die Ziele, Bedürfnisse und gedanklichen Modelle sind, so unterschiedlich wirken sie auch auf Gefühle und das Handeln. Denn aus der kognitiven Verhaltenstherapie weiß man, dass Situationen an sich keinen Einfluss auf Gefühle haben. Vielmehr werden Gefühle und Verhalten von unserer Wahrnehmung und der Bewertung von Ereignissen beeinflusst. „Nicht die Dinge verwirren die Menschen“, sagt schon der antike griechische Philosoph Epiktet, „sondern die Ansichten, die sie von den Dingen haben.“

Wer etwas als gefährlich bewertet, aktiviert Angst, Aggression, Flucht- oder Kampfverhalten, um der Situation zu entkommen. Wenn eine Person etwas als ungerecht bewertet, wird sie wütend. Sie wird sich offen wehren oder ihren Ärger in sich hineinfressen. Wird etwas als hoffnungslos, aussichtslos bewertet, stellen sich depressive Gefühle, Gefühle der Kraftlosigkeit ein; der Antrieb wird schwächer und es fällt schwer, sich zu etwas aufzuraffen. Hinter den Gefühlen und Gedanken stehen weder Menschen mit schlechtem Charakter noch mit Persönlichkeitsstörungen. Sie leben nur mit bestimmten Denk- und Verhaltensmustern und Wertebegründungen, die wir alle – mehr oder weniger – haben. Niemand hat einen rein logischen und vernünftigen Kompass in seinem Gehirn eingebaut. Emotionen erst machen den Menschen aus.

Demonstration "Nicht ohne uns" in Berlin
Demonstration "Nicht ohne uns" in Berlin © (c) APA/dpa/Christophe Gateau (Christophe Gateau)

Die Denk- und Gefühlsmuster von Krisenleugnern und Fundamentalisten haben dabei mehrere gemeinsame Merkmale: Alle tragen nicht nur einen der Denktypen (siehe Charakterisierungen) in sich, sondern gleichzeitig immer mehrere. Man muss ihnen eine „Doppel- oder Dreifachdiagnose“ stellen. Alle folgen dem Prinzip der Übergeneralisierung – die Personen setzen das Muster immer und überall ein. Die auffälligste Gemeinsamkeit: Alle sind gesellschaftlich unempathisch. Sie fühlen sich außerhalb ihres privaten Umfeldes als Einzelkämpfer, die gerne selbst Recht sprechen. Gesellschaftliche Verhandlungsprozesse zwischen verschiedenen Interessensgruppen gehen ihnen zu langsam, sind ihnen zu weich.

Leute mit unempathischen Denkmustern sind aber keine Idioten. Sie sind nicht Empathiker, sondern eben „Nonpathiker“. Sie können oder wollen nicht die Perspektiven anderer übernehmen. Aber sie sind ein ernst zu nehmendes Element der Demokratie. Sie zwingen die Gesellschaft zur Problemlösung. Positiv formuliert: Ungelöste Probleme halten die Gesellschaft zusammen.

Bagatellisierer

Man müsse nicht alles so wichtig nehmen, sagen sich die Bagatellisierer. Dann brauche man sich auch nicht so aufzuregen. Sie meinen damit aber immer auch, der andere solle sich nicht aufregen. Bagatellisierer fühlen sich erhaben über die anderen. Sie geben sich ein gutes Gefühl der Selbstversicherung und wenden dieses Denkmuster generalisierend in allen Situationen an. Typische Aussage: „Ich weiß, wie der Hase läuft. Ich kenne die Welt.“ Grundsätzlich ist diese Denkweise sinnvoll. Wir alle brauchen sie. Wir sollen tatsächlich nicht alles wichtig nehmen in Zeiten medialer und wirtschaftlicher Tsunamis. Bagatellisierer erzeugen „alternative“ Denkweisen, die wissenschaftlichen Kriterien und der Evidenz der Epidemieentwicklung widersprechen: „Es ist ja nur eine Grippe. Was regt ihr euch so auf!?“ Nicht selten sind in dieser Gruppe auch Leute vom Fach, im konkreten Fall Mediziner, zu finden – zuletzt ein Arzt in der Obersteiermark. Er sollte diese Meinung äußern dürfen, solange er sich an Regeln wie Mundschutz oder Abstandhalten hält.

Hedonisten/Verleugner

Risiko-Sucher spielen gerne russisches Roulette, nehmen allerdings – anders als zu Dostojewskis Zeiten – heute kein direktes persönliches Risiko mehr auf sich, sondern treffen sich zu Coronapartys in Vereinslokalen, am Strand oder Uni-Gelände und üben die körpernahen Rituale des Frühlings. Mit dabei sind bedenkenlose Hedonisten, die nach vom Grundsatz „Ich will den Genuss um jeden Preis“ handeln, sowie Ignoranten und Verleugner der möglichen Gefahren, die nach dem Motto „Mir kann nix passieren“ agieren. Sie blenden bewusst aus beziehungsweise denken nicht daran, ob sie mit ihrem Verhalten anderen Schaden zufügen.

Zerstörer

Die Zerstörer entsprechen am ehesten dem Typus „Übermensch“, den der Philosoph Friedrich Nietzsche propagiert hat. Der „Übermensch“ will die biblische Moral und die Menschenrechte zerstören. Demnach sollte man sein Handeln nicht an Ideen wie Gerechtigkeit und Gleichheit orientieren, sondern im Gegenteil: „Die Lehre ‚gleiche Rechte für alle‘ ist ein lebensfeindliches Prinzip“, schreibt Nietzsche. Das Leben sei einem Ziel untergeordnet, nämlich „auf die Ermöglichung der Züchtung des Übermenschen“. Konflikt und Aggression sind nach Nietzsche lebensförderlich: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge!“

Schaden-in-Kauf-Nehmer

Wie die Verschwörungstheoretiker fühlen sich auch „Schaden-in-Kauf-Nehmer“ der Elite zugehörig. Sie haben ökonomische Interessen, wie aktuell manche Touristiker oder Immobilienunternehmer. Ihr Motto und Erfolgsrezept: „Wo gehobelt wird, da fallen Späne.“ Sie überschreiten – nicht nur verbal – Grenzen, weil sie ohnedies glauben, dass sie in ihrer Gestaltungskraft gesellschaftlich eingebremst werden. Sie werden weitermachen wie bisher, von wegen der Markt regelt alles. Auch diese Position beinhaltet eine logische Komponente: Man muss um seinen Gewinn kämpfen, Widerstände überwinden und seine Interessen durchsetzen.

Mythenerzeuger

Verschwörungstheoretiker sind überzeugt, dass die Welt böse ist und von einzelnen Personen oder Geheimgesellschaften gesteuert wird. Die Bezeichnung als „Theoretiker“ hat sich eingebürgert, sie sind aber eher Mythenerzeuger. Ihre Denke beruht nicht auf Theoriebewusstsein. Sie sind überzeugt, als Einzige über das tatsächliche Funktionieren der Welt – der „Systeme“ – Bescheid zu wissen. Ihnen ist beispielsweise klar, dass das Virus in – je nach Modell amerikanischen/israelischen/chinesischen/... – Labors gezüchtet wurde. Sie empfinden es als erhebendes Gefühl, mit einer besonders kleinen und auserwählten Gruppe über Geheimwissen zu verfügen. Man fühlt sich damit einer Elite zugehörig.


* Alois Kogler ist klinischer Psychologe und Verhaltenstherapeut.