Ich erinnere mich, dass wir oft den Osterhasen in seiner Werkstatt besucht haben. Die hatte er ja bei Tante Mitzi am Bauernhof, weißt du noch? Mitzi färbte Eier und verkaufte sie – du hast mir weisgemacht, sie würde für den Osterhasen arbeiten. Ich erinnere mich auch, dass du mit mir oft den „Osterhasen-Weg“ im Wald gegangen bist. Dort, wo die Wurzeln der Bäume dunkle Höhlen formen. Ich weiß es noch genau: Der Osterhase sei dort zu Hause, hast du mir erzählt. Selbstverständlich habe ich dir alles geglaubt.

Ich erinnere mich heute aber auch, dass es dir allmählich ein bisserl peinlich geworden ist, dass ich als Kind so lange an den Osterhasen geglaubt habe. Ich muss gestehen: Du warst perfekt in der Scharade. Ich konnte es kaum glauben, dass alles bloß ein Märchen war. Immerhin habe ich doch den Osterhasen zigfach gesehen! Weiß du noch, wie oft ich geschrien habe, weil seine „Löffel“ über den Zaun gelugt hätten?

Heute werde ich keine Löffel sehen, heuer können wir dich zu Ostern nicht besuchen. Du sitzt alleine in Oberösterreich, Opa ist leider schon tot. Stell dir vor, wie es ihm in dieser unwirklichen Zeit ergehen würde. Wie du würde er es kaum aushalten, nur zu Hause zu bleiben. Ich will dir aber sagen, dass ich vor allem heute fest an dich denke. Und an meine schöne Kindheit, die ihr beiden mir nicht nur zu Ostern versüßt habt. Bei all den Erinnerungen muss ich herzhaft lachen – wie gut das in der Coronakrise tut. Trotz unserer Distanz fühle ich mich dir gerade besonders nahe.

Ich freue mich schon, wenn wir heute telefonieren, uns gemeinsam an schöne Zeiten erinnern und bunt gefärbte Eier essen. Ich weiß schon, was du mir dann wieder erzählen wirst: „Als ich dir gesagt habe, dass wir dein Ostergeschenk kaufen, warst du dir immer noch sicher, dass es trotzdem der Osterhase bringt.“ Bleib gesund, liebe Oma! Und bleib bitte zu Hause. Dann sehen wir uns hoffentlich bald wieder.

Alles Liebe,
Kathi