Es begann … „Papa“, bringt der Sohn die Konzentration zum Einsturz, „was meint die Lehrerin damit?“ „Warte, ich muss ... nur dieser Satz ... aahh ... Zeig her!“
Es begann mit … „Papa, wo sind meine AirPods?“ „Woher soll ich das wissen?“ (Leicht gereizter Unterton.) „Wahrscheinlich dort, wo du sie zuletzt hingelegt hast!“ (Kurzes Überlegenheitsgefühl.) „Haha, heute mit ,lustig‘ am Start?“, hält sie dagegen. Und man sieht selbst durch die geschlossene Zimmertür die rollenden Augen der enervierten Tochter. „Wozu brauchst du die Ohrstöpsel eigentlich jetzt? Kann man Winkelfunktionen jetzt schon hören?“ (So leicht gebe ich mich nicht geschlagen.) „Hab sie!“, kommt als Antwort. Ich höre mich durchschnaufen.
Wir schreiben Tag 6 n. C. (nach Corona). Eigentlich wäre das alles ganz anders geplant gewesen.

Tag 1. Es begann mit einem seltsamen Gefühl. Als wäre am Montag schon wieder Sonntag. Zumindest bis zu dem Moment, an dem man in der Früh eigentlich das Haus verlässt. Geht grad nicht. Rausgespült aus dem Großraumbüro, angeschwemmt im Mikrokosmos Heimbüro. Kurz schwenkt die Stimmung Richtung Urlaubsmodus. So à la „Hab-frei-aber-check-nur-schnell-die-Mails-von-daheim“. Bevor man dann endgültig in der Wirklichkeit aufschlägt. Konkret: am Wohnzimmertisch. Kriegsgebiet.

Expedition in den Corona-Alltag

Denn während draußen der Alltag runtergefahren wird, stillsteht, scheint diese Ruhe die eigenen vier Wände noch nicht erreicht zu haben. Dafür ist die Arbeit daheim angekommen. Und die Schule. Homeoffice trifft auf Homeschooling, Video-Calls auf E-Learning. Und damit Kinder auf Eltern. Zu einer Tageszeit, wo normalerweise weder die einen noch die anderen daheim sind. Familienleben, hoch konzentriert und unverdünnt wie ein Sirup. Das klebt zusammen. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Die Mathematikbücher der Tochter stapeln sich neben den Englischheften des Sohnes. Dazwischen irgendwo die eigenen Arbeitsunterlagen. Das klingt jetzt alles furchtbar chaotisch. Und genauso ist es auch. Nein. Eigentlich ist es noch schlimmer. Aber irgendwie abenteuerlich. Wie eine Expedition in ein unbekanntes Land, das man Corona-Alltag nennt. Und in dem plötzlich eine halbe Schulklasse der Tochter zu Gast ist. Virtuell. Eine fröhliche Hausübungsarbeitsgemeinschaft hat sich am Tablet versammelt. Kichern. Tratschen. Rechnen. „Ich mach jetzt Englisch.“ Die Mädelsrunde ist bei ihrer Arbeit rudelorganisiert und hat Spaß. Echte Vorbilder!

Tag 2. „Eigene Arbeitsplätze für die Kinder“, hatte der Schulpsychologe geraten, mit dem man tags zuvor gesprochen hatte. Das Interview fand zwar seinen Weg in die Zeitung, der Tipp aber nicht ins eigene Wohnzimmer. Wie ein Magnet zieht die gemeinsame Ratlosigkeit die drei Daheimgebliebenen jeden Morgen aus ihren Zimmern ins Zentrum. Am Ende sitzen wir Schulter an Schulter vor drei aufgeklappten Laptops. Der eine Computer alt, der andere eilig von der Oma geliehen, der dritte vom Arbeitgeber bereitgestellt. Auf allen drei Bildschirmen: Programme, die eine Kommunikation mit der Außenwelt, mit Lehrern, Freunden, Kollegen, der Redaktion angeblich erleichtern sollen.

"Papa wie geht...?" "Keine Ahnung!"

Kurzfristig installiert, nie wirklich ausprobiert. Vor allen drei Bildschirmen: drei Anwendungslaien. Über allen drei Bildschirmen: eine Cloud aus Fragezeichen. Learning by Doing? Der war gut! Es fehlt an Erfahrung, Wissen und Geduld. „Papa, wie geht das Hochladen?“ „Keine Ahnung.“ „Wann kommt die Mama wieder?“, keimt Sehnsucht nach der weiterhin in einer Volksschule unterrichtenden Retterin auf.

Tag 3: „Jetzt ist es schon nicht mehr soooo lustig. Für Volksschule und Gymnasium lernen, Kindern immer wieder helfen, den Dreijährigen bespaßen, Mann sollte auch arbeiten, Systeme überlastet. Kochen, Haushalt … Die Nerven liegen schon etwas blanker. Und das schon am dritten Tag.“ Das nebenbei aufgeschnappte Facebookposting einer Leidensgenossin tröstet für einen Augenblick. Das Elend der anderen als Beruhigungsmittel fürs eigene Gemüt. „Papa, wann gibt es eigentlich Mittagessen?“ Wie bitte?Wir haben doch gerade erst gefrühstückt. „Später!“ Die erste Videokonferenz wartet. Auf allen verfügbaren Kommunikationswegen sondern Kollegen aus ihren eigenen Isolationskammerln gleichzeitig Informationen ab. Am viel zu kleinen Laptop-Bildschirm: eine windschiefe Porträtgalerie der Redaktionsmannschaft, dazwischen der Chef im Kapuzenpulli. Sämtliche digitalen Kommunikationskanäle blinken und piepsen gleichzeitig.

Tag 4: Den Sohn scheint das späte Aufwachen müde gemacht zu haben. Er hat vieles, nur gerade wenig Lust, sich um die Groß- oder Kleinschreibung von persönlichen Fürwörtern in Briefen zu kümmern. Die Tochter hat die Isolation in der Isolation gewählt und lebt hinter der geschlossenen Zimmertür einen plötzlichen pubertären Putzwahn aus. Noch so ein bisher völlig unbekannter Virus? Sympathische Nebenwirkung!

"Schon wieder Nudeln?"

Zwischen Grafikbesprechungen (siehe Folgeseite) jetzt auch noch ein bisserl Gymnastik zwischen Herd und Kühlschrank: kochen. „Schon wieder Nudeln?“, höre ich vom Wohnzimmertisch. Ich spüre leichtes Feuer in mir hochlodern. „Super!“, schiebt der Sohn nach. Ich merke, wie die Flamme in mir erlischt. Willkommen im ganz normalen Alltag meiner Frau (und wohl der meisten Mütter). So nach Wellness hat die langsam ausbleichende Erinnerung an das Redaktionsbüro noch nie gerochen.

Tag 5: Langsam kehrt Routine ein. Auch die Katze hat sich mittlerweile an die Dauerpräsenz ihrer menschlichen Untermieter gewöhnt. „Jetzt haben wir erst den fünften Tag und es fühlt sich schon sooo öd an“, stöhnt die Tochter. Sie fordert mich zum Liegestütz-Contest. Und gewinnt. Am Abend ein Videochat-begleitetes Bier mit Kollegen am virtuellen Stammtisch.

Tag 6: Wie hat sich eigentlich die Normalität vor Corona angefühlt?