Man muss gleich mit einem Rumms in die Geschichte fallen, wie eine Arschbombe im voll besetzten Schwimmbecken. Kurz Panik verbreiten. Also wirft man ein Wort in die Runde, das bei vielen eine Gänsehaut aufzieht, wie eine Gewitterfront: Chemie-Prüfung! Das mag für manche ob der dunklen Vorahnung, was da noch kommen mag, schon unter Okkultismus fallen, aber wenn wir die Theorie, die Zahlen und die Formeln außer Acht lassen, stehen wir mitten im Chemielabor. Im Chemielabor des Sommers wohlgemerkt. Denn der Sommer, der hinterhältige Hund, legt seine feinen olfaktorischen Spuren aus wie ein feines Nest. Und wir alle reagieren darauf, wie die Pawlow’schen Hunde. Sabbernd, auch weil sich der Durst einstellt, aber vor allem, weil man dem Sommer olfaktorisch, also durch die Nase, am nächsten kommt.

Zu fassen ist er ohnehin nicht, er ist flüchtig wie Ozon. Ob es bodennah ist? Wer kann das schon sagen. Es gibt diese sicheren Anzeichen für den Sommer: Der Duft von Sonnencreme, kaum einer könnte ihn chemisch richtig beschreiben, der übliche Beipacktext lautet: riecht wie Sommer. Und wo ein Duft ist, ketten sich gleich die nächsten Geruchsmoleküle daran: Es riecht nach Chlor, nach Freibad, automatisch hört man die spitzen Schreie quietschender Kinder. Oder nehmen wir das Wort Petrichor. Das klingt nach einem Putzmittel, das auch noch den letzten Rest von Leben auszuhauchen vermag.

Petrichor: Wenn Regen auf trockene Erde trifft
Petrichor: Wenn Regen auf trockene Erde trifft © (c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)

Dabei ist es das genaue Gegenteil: Petrichor beschreibt jenen Duft, der entsteht, wenn Regen auf trockene Erde trifft. Er verspricht Abkühlung und Aufatmen, bis sie sich wieder ausdehnt, die Wärme, und der Körper mehr träge Masse denn Trägermasse wird. Dann ist die beste Art der Fortbewegung: Man lässt sich treiben. Wabert dahin, träge zwischen den Lockstoffen des Sommers. Erdbeeren, warme Tomaten, die noch auf der Rispe baumeln, blühender Lavendel, frisch gemähtes Gras, das langsam zu Heu verdorrt, der Grillgeruch vom Nachbarn – die Duftorgel des Sommers ist üppig, aber nicht nur die reinste Wonne: Schwitzende Mitmenschen, in der Hitze dahinsiechende Mülltonnen, verdunstender Hundeurin an Hausecken, dampfende Asphaltierungsarbeiten – doch hat alles seinen Sinn.

Der Duft des Sommers: Lavendel
Der Duft des Sommers: Lavendel © (c) anweber - stock.adobe.com

Der Sommer, er will sich in unser Gedächtnis einbrennen wie ein Sonnenbrand. Und es funktioniert – übrigens auch umgekehrt. Wenn die Gelse einmal Witterung aufgenommen hat, gibt es kaum ein Entkommen mehr und das, obwohl die Kräfte doch eher ungleich verteilt sind. In Summe ist alles angerichtet für eine Überreaktion: Das eindringliche Surren, der eindringende Stich – da kann schnell aus der Mücke ein Elefant werden.

Sprung ins kühle Nass
Sprung ins kühle Nass © APA/EPA/KARL-JOSEF HILDENBRAND (KARL-JOSEF HILDENBRAND)

Zugegeben, es gibt bessere Soundtracks für den Sommer als das Surren einer Gelse, auch wenn bei vielen Sommerhits erhebliche Zweifel an deren Genialität bestehen. Und doch scheinen sie eine Art magische Wirkung zu entfalten. Immerhin bringen sie nicht nur träge Körper dazu, sich zu bewegen, sondern auch im tiefsten Winter die Erinnerung an bessere, weit wärmere Zeiten zurück. Fast so, als könnte man den Sommer im Hüftgold konservieren.

Achtung vor Blitzeis im Kopf!
Achtung vor Blitzeis im Kopf! © (c) drubig-photo - stock.adobe.com (Diana_Drubig)

Ähnlich unheimlich ist wohl nur noch ein anderes Phänomen, an dem der Treibstoff des Sommers einen erheblichen Anteil hat: Eis. Wenn man sich freudig dem Genuss hingibt und einem der Schmerz ins Hirn fährt, als wäre man von Lord Voldemort persönlich getroffen worden. Blitzeisschmerz? Ein kleiner Gruß vom Winter? Aber so ist das wohl mit dem Sommer, es ist immer ein bisschen Magie im Spiel. Das würde der Chemiker strikt verneinen: Sommer ist, wenn die Chemie stimmt!