Der Adler ist gelandet. Mit den Worten begann eine neue Zeitrechnung. Minuten darauf betrat Neil Armstrong 1969 den Mond. Seine Worte standen am Ende einer radikalen Epoche. Revolutionäre hatten die althergebrachte Politik in den Grundfesten erschüttert und kehrten in ruhige Bahnen zurück.

20 Jahre später wühlte wieder ein Ereignis die Welt auf. Die friedliche Revolution 1989 brachte den Kommunismus in Osteuropa und damit den Eisernen Vorhang zu Fall. Und selbst in China rührten sich die Studenten, versammelten sich auf dem Platz vor der Verbotenen Stadt in Peking und hofften auf ein Ende der kommunistischen Einparteienherrschaft. Doch der Protest wurde blutig niedergewalzt von Panzern, die in nur wenigen Stunden die Kontrolle über den zentralen Platz der Hauptstadt erlangten. Das Bild vom Zivilisten, der sich mit zwei Plastiksackerln einer Panzerkolonne entgegenstellt, wurde zur fotografischen Ikone.

Der Aufstand gegen das Staatssystem war beendet, doch damit begann erst eine heftige Kursdebatte innerhalb der Kommunistischen Partei. Der Kurs unter Präsident Deng Xiaoping wurde hinterfragt. Seine 1976 nach dem Tod von Staatsgründer Mao Zedong begonnenen pragmatischen und schmerzvollen Wirtschaftsreformen hatten zu den Protesten geführt. Es setzt sich das Gegenlager durch und man kehrt zurück zu staatlicher Wirtschaftskontrolle und eingeschränkten Außenbeziehungen.

Deng korrigierte den Kurs 1992

Doch Deng blieb hart, korrigierte 1992 erneut den Kurs, weil er glaubte, erst die Isolation habe in Osteuropa zum Zusammenbruch geführt. Nur die Errichtung einer gelenkten sozialen Marktwirtschaft und die Öffnung für den Weltmarkt könne zu einem Wachstum und damit zur Aufrechterhaltung der KP-Herrschaft führen. Von da an war der Drache gestartet.

Trotz aller Erfolge findet in China selbst aber keine Auseinandersetzung mit den Ereignissen von 1989 statt, die maßgeblich zum Aufstiegskurs des Landes beigetragen haben. „Eine Debatte oder auch nur die Anerkennung der Ereignisse von 1989 würde die Legitimität der Kommunistischen Partei ins Wanken bringen“, sagt Frank Pieke. Er ist der Direktor der angesehenen Denkfabrik Merics. Der Thinktank in Berlin hat sich auf China fokussiert und analysiert im Jubiläumsjahr umfänglich die Folgen des Massakers. „Ob es einem gefällt oder nicht: Aus Sicht der chinesischen Regierung ist der Umgang mit dem Erbe ein Erfolg und Beispiel dafür, wie sich politische Probleme auflösen, wenn man die Auseinandersetzung mit ihnen unterdrückt.“

An die „Ereignisse vom 4. Juni 1989“, wie es offiziell heißt (auf Chinesisch: liu si), dürfe man nicht mehr erinnern, betont man bei Merics. In den Schulen werde das Massaker nicht thematisiert, zudem dürften Medien nicht darüber berichten. Demonstrationen oder Mahnwachen seien verboten und das Internet zensiert.

Wendepunkt in der Politik Chinas

Der 4. Juni sei ein Wendepunkt gewesen, urteilt Perry Link. Er war Professor an der Princeton University, lebte 1989 in Peking und lehrt derzeit an der Universität Heidelberg. „Die kommunistischen Führer, die sahen, dass ihre sozialistische Ideologie jetzt nutzlos war, setzten fortan auf ungezügeltes Geldverdienen, eine enge Form des Nationalismus und die Unterdrückung freien Denkens“, stellt Link fest. „Diese giftige Mischung hat China an den Rand eines Abgrunds gebracht.“

Für Sandra Heep hat der wirtschaftliche und technologische Aufschwung aber nichts von der Schärfe der politischen Diskussion genommen. „In den 30 Jahren nach den Tian’anmen-Protesten hat China immense wirtschaftliche Erfolge erzielt. Heute aber wachsen mit der zunehmenden politischen Repression – nicht zuletzt für ausländische Unternehmen – auch die wirtschaftlichen Risiken“, sagt die Professorin der Universität Bremen.

Heep und Link touren aktuell mit den Analysten von Merics durch Europa und diskutieren die Auswirkungen des Protests von damals. Man habe sich für Wohlstand statt Freiheit entschieden, lautet ein Fazit der gemeinsamen Diskussion über die Spielräume innerhalb einer sich rasant ändernden Gesellschaft in China.

Dass es 30 Jahre danach erneut zu Massenprotesten kommen könne, hält Pieke aber für unwahrscheinlich. „Auch ohne das noch im Aufbau begriffene gesellschaftliche Bonitätssystem ist die Regierung ungleich klüger und besser gerüstet, um mit allen möglichen Formen des Protests umzugehen.“ Unter dem neuen starken Präsidenten Xi Jinping habe China nicht nur in Technik, sondern auch in Polizei und Notfallmanagement investiert. Die Regierung könne Unruhen schneller eindämmen. So habe man den Drachen in jeder Hinsicht gezähmt.