Es war ein gewisser Jim Morrison, der in einem seiner Gedichtbände folgende Erkenntnis notierte: „Jeder Tag ist eine Fahrt durch die Geschichte.“ Nur sind während dieser Fahrt schon viele ausgestiegen: Morrison selbst, Janis Joplin, Elvis Presley, Kurt Cobain, David Bowie, Amy Winehouse, Prince oder wie sie alle heißen. Nur einer fährt noch immer und er denkt gar nicht daran, auszusteigen: Michael Philip Jagger. Kurz Mick oder auch länger: Sir Mick Jagger, geadelt von Queen Elizabeth II. Nur sie kann annähernd nachvollziehen, was es heißt, ein ganzes Leben lang auf höchstem Niveau berühmt zu sein. Oder anders gesagt: Wenn das Rampenlicht deinem natürlichen Bedürfnis nach Licht am nächsten kommt und du das Andy-Warhol-Dogma von den 15 Minuten Ruhm pro Nase pro Leben schon so oft durchbrochen hast, dass diese Rechnung locker für eine Maturafrage reichen würde: Wie viele Viertelstunden Ruhm hat Mick Jagger schon verlebt? Die richtige Antwort: Über die Unendlichkeit führt man nicht Buch.

Ganz sicher hätte das am 26. Juli 1943 im britischen Dartford auch niemand für möglich gehalten, dass dieses Baby, das damals geboren wurde, zwei Jahrzehnte später den Prototyp für ein Berufsbild schafft, das bislang als Terra incognita im Atlas der ehrwürdigen Berufe geführt wurde: der Rockstar. Irgendwo verständlich, denn den klassischen Tugenden Disziplin, Demut und Mäßigung wurde eine Trias entgegengesetzt, die die Elterngeneration von damals erst verdauen musste: Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll.

Lebende Legenden: The Rolling Stones
Lebende Legenden: The Rolling Stones © (c) AP (MARK SELIGER)

Das richtige Wurfgeschoss für die Botschaft schuf Mick gemeinsam mit Keith Richards und Brian Jones Anfang der 1960er-Jahre: The Rolling Stones. Damit versetzten die Herren das junge Publikum in eine Form der Ekstase, die es zuvor in Spurenelementen bei Elvis Presley und den Beatles genossen hatte. Nur drehten die Stones die Regler auf Exzess und schufen ihre ganz eigene Form der Nachhaltigkeit. Und die schaut so aus: „(I Can’t Get No) Satisfaction“, der Hit, der Durchbruch, die Eintrittskarte in den lebenslangen Ruhm. Und hier steht es klar geschrieben: Natürlich gibt es keine Befriedigung, wenn man gerade erst Blut geleckt hat. Punkt.

Dass das nicht ohne Folgen bleibt, hätte man sich denken können. Denn Jagger und Freunde wurden 30, sie wurden 40, sie wurden 50 und was passierte? Nichts. Die Herren machten gleich weiter wie bisher. Ihr Publikum übrigens auch. Es wurde also ein bis dato wirksames Dogma der Altvorderen durchbrochen: Du bist jung, du wirst erwachsen, benimm dich auch so. Damit war Schluss. Die Parole fortan lautete: Mach, was du willst, und mach es dein ganzes Leben lang.

Rockstar forever: Mick Jagger
Rockstar forever: Mick Jagger © AP (JEFF CHRISTENSEN)

In seiner perfektesten Ausformung lässt sich diese Denkschule bei Mick Jagger beobachten: Urgroßvater, fünffacher Großvater und Vater von acht Kindern zwischen einem und 47 Jahren. Er geht mit den Stones auf Tour und wird damit nicht aufhören. Oder glauben Sie, dass ein Rock-Dinosaurier in Pension geht? Nein, denn Urgesteine dieser Art kommen im Alter zwischen 70 und 80 erst in die Aufwärmphase. Erst kürzlich zitierte eine britische Zeitung einen Stones-Intimus: „Mick und Keith würden sich lieber im Sarg von der Bühne tragen lassen, als ihre große Liebe aufzugeben – Musik schreiben und machen.“ Jetzt feiern wir heute erst einmal den 75er, dann planen wir die nächsten 100 Jahre.