Es ist eng. Es ist kalt. Und es ist dunkel. Alle paar Schritte muss man sich ducken, weil man sich sonst den Kopf stößt. „Passen Sie auf, die Treppen sind auch nicht ungefährlich“, warnt Jonathan Print. Er muss es wissen: Immerhin ist der ehrenamtliche Tourguide, der durch die drei denkmalgeschützten Häuser in der Ecke zwischen Inge und Hurst Street führt, selbst noch in einem „Back to Back“ aufgewachsen. So wie seine Eltern vor ihm.

Rückblende. Birmingham ist im 19. Jahrhundert das pochende Herz der industriellen Revolution. Schwarzer Rauch steigt aus Fabrikschloten, das Feuer lodert in den Schmelzöfen der Stahlerzeuger, die Maschinen hämmern in den Werkshallen. Immer mehr Menschen folgen dem Ruf der Arbeit in die Städte, und weil sie auch irgendwo hausen müssen, hat die Stadtverwaltung eine platzsparende Idee: die „Back to Backs“.

Dabei teilen sich zwei Reihenhäuser eine Rückwand und einen Dachfirst, sodass sie wie ein normales Gebäude aussehen. Die Wahrheit im Inneren ist herb, die Räume sind winzig, kein Strom, kein fließend Wasser – Elendsviertel. Lebensbedingungen, die man auch in der aktuellen Fernsehserie „Peaky Blinders“ nachfühlen kann. Wenn man sicht traut. Einst lebte fast die gesamte Bevölkerung von Birmingham – die sogenannten Brummies – in „Back to Backs“. Heute sind noch ganze drei von ihnen übrig geblieben, die den Planierraupen entgingen. „Bis in die 1970er waren die Häuser bewohnt“, sagt Jonathan. „Die Menschen wurden in moderne Sozialbauten umgesiedelt. Trotz allem sind sie nicht gerne gegangen.“

Auf dem Fundament des verrußten Industriemolochs des „Black Country“ hat sich Birmingham zu einer modernen Metropole gemausert. Und ist damit noch lange nicht fertig. Zwischen Vorzeigeprojekten wie der spektakulären Stadtbibliothek, dem innerstädtischen Einkaufszentrum Bullring, dem Mega-Bahnhof Grand Central oder dem außergewöhnlichen Hochhaus „The Cube“ drehen sich die Baukräne im Wind.

Alte Fabriken und Lagerhäuser reihen sich an Luxusgeschäfte, angesagte Bars und gemütliche Cafés wie am Brindleyplace. Dazwischen erstreckt sich das altehrwürdige Birmingham mit seinen schicken Stadtvillen und rund 60 Kilometer Kanalnetz, von dem aus man Birmingham mit Booten erkunden kann. Oder das historische Juwelierviertel – die größte Ansammlung von Schmuckgeschäften in ganz Europa – und das Balti-Dreieck, in dem es nach scharfem Curry und den Gewürzen der großen, weiten Welt duftet. Die zweitgrößte Stadt nämlich ist auch die ethnisch vielfältigste in ganz Großbritannien.

Die wechselhafte Geschichte der Stadt kann man auf Schritt und Tritt lesen – am besten unterstrichen von einem launigen Stadtführer wie Ian Jelf. „In Birmingham wird so viel gebaut. Manchmal erkennt man die Viertel kaum wieder, wenn man eine Zeit lang nicht dort war“, scherzt er und wählt eine Ausweichroute zur Kathedrale. „Da vorne ist gerade alles aufgegraben, da können wir nicht gehen.“ Aber wir können die Schilder an so mancher Absperrungen lesen: „Gefördert durch Mittel der Europäischen Union.“

Darauf angesprochen, huscht eine Anspannung über die Gesichter der Einheimischen, wie wenn Aston Villa gegen Birmingham City im „Second City Derby“ spielt. Der drohende Dämpfer durch den Brexit käme für die Stadt in ihrem derzeitigen wirtschaftlichen Aufschwung nach längerem Leidensweg einem sprichwörtlichen Erdbeben gleich.

Dass Birmingham auch diese Krise überstehen wird, steht für Ian außer Frage, resümiert er bei einem Pint im „The Old Joint Stock“. „Aber das Ganze war sicher eine unserer schlechteren Ideen.“