Die Ähnlichkeit ist verblüffend. Da ein Vulkan, der einen tiefen Krater hat. Und dort ein Fußballstadion, das optisch einem Krater ähnelt und dessen Innenleben dem Vulkan um nichts nachsteht. Was im Vesuv bei Neapel das Magma ist, ist im Stadion San Paolo die verrückte italienische Fußballseele, die sich leidenschaftlich dem Fußballverein SSC Neapel hingibt. Da wie dort gilt: Es brodelt gewaltig.

Fern vom Vesuv klingt es verrückt: Wie kann man bloß neben einem Vulkan leben, der jederzeit Feuer spucken könnte und der aufgrund seiner dicht besiedelten Umgebung als einer der gefährlichsten weltweit gilt? Die Antwort auf diese brennheiße Frage ist meist erst ein freundliches Grinsen, dann ein beruhigend-kühles „il vesuvio riposa“, „der Vesuv ruht“. Lukas, selbst in Neapel geboren, erzählt: Die Leute leben gerne mit dem Vulkan. Und der Umstand, neben ihm aufzuwachsen, macht sie „erst zu dem, was sie sind“, meint er: Ein bisschen temperamentvoll, ein bisschen chaotisch, ein bisschen lebensfroh – ein bisschen süditalienisch eben.
Wer neapolitanisches Temperament in Reinkultur erleben möchte, der begebe sich auf die Straßen der Stadt. Dort, wo man besser drei Mal schaut, herrscht der Gipfel des Chaos. Eine Delle am Auto ist fast ein süditalienischer Herkunftsnachweis, Hupen werden öfter gebraucht als Bremsen. Oder man geht in das Fußballstadion San Paolo, ein Ort, an dem die Rivalität zwischen dem armen Süden und dem reichen Norden Italiens eine 90-minütige Bühne findet. Eine ganze Region brennt für den SSC Neapel wie das Magma im Vulkan. Zehntausende „Tifosi“, „Fans“, himmeln ihre himmelblauen Fußballer an, wild gestikulierend, fauchend, diskutierend mit sich selbst und anderen. Sie warten darauf, aus sich herausgehen zu können.

So wie man es vor rund 30 Jahren getan hat. Diego Maradona und die beiden (einzigen) Meistertitel, die Neapel 1987 und 1990 geholt hat, sind der Inbegriff süditalienischen Stolzes. „Die Mannschaft ist zurzeit nicht schlecht“, sagt Fan Andrea, der eine zweistündige Autofahrt in Kauf nimmt, um „seinen“ Verein zu sehen, „aber im Vergleich zu damals ... ich habe immerhin Maradona gesehen“.

Die ganze Stadt ist blau-weiß, an beinahe jeder Ecke werden Trikots des Ehrenbürgers Neapels verkauft. Die berühmten Krippenbauern schnitzen nicht nur das Jesuskind im Stall, sondern auch einen Diego mit Ball. Sogar Barbesitzer werben damit, dass hier einst der argentinische Ballartist einen Espresso getrunken hat. Der Beweis? Ein himmelblauer Altar, gespickt mit Fotos – und ein Fotorahmen, der eine pechschwarze Locke Maradonas beschützt.

Und apropos Stolz: Genauso wenig wie an Maradona kommt man an der Pizza vorbei. Sie hat in Neapel ihren Ursprung. Die berühmte Pizzeria Brandi soll Königin Margherita 1889 eine Pizza in den Landesfarben Italiens aus dem Ofen gezaubert haben: mit grünem Basilikum, weißem Mozzarella und roten Tomaten. Die Königin war begeistert – und die Pizza hatte einen neuen Namen.