Als er das erste Mal in das kleine Dorf im Senegal kam, war ihm so gar nicht nach Fotografieren zumute. Was er sah, war ebenso erschütternd wie beeindruckend. In M’Balling versuchen gesunde und kranke Menschen gemeinsam, ihrem Schicksal zu trotzen. Etwa ein Drittel der rund 4000 Einwohner im Dorf, 84 Kilometer südlich der Hauptstadt Dakar gelegen, ist an Lepra erkrankt. Der Alltag dort ist geprägt von Hoffnung und Verzweiflung, Leben und Tod, Zusammenhalt, Nächstenliebe, von berührender Menschlichkeit trotz bitterer Armut. Lepra ist eine jener Krankheiten, die es seit Jahrtausenden gibt. Man spürt sie nicht. Sie ist Folge von mangelnder Hygiene, Unterernährung und einem geschwächten Immunsystem. Nervenzellen und Schleimhäute werden zerstört. Ohne Behandlung bleiben Verstümmelungen und Behinderungen zurück. Den Dorfbewohnern sind die leprösen Mitmenschen mit ihren verunstalteten Gliedmaßen so vertraut wie die schönen Frauen in ihren bunten Gewändern.

Ein Drittel der Einwohner des Dorfes ist an Lepra erkrankt.
Ein Drittel der Einwohner des Dorfes ist an Lepra erkrankt. © Joachim Bergauer


Mittendrin Günter Hainzl, der seit 22 Jahren das Projekt der Leprahilfe Österreichs als Obmann im Senegal leitet. Anfangs lag der Schwerpunkt der Hilfsmaßnahmen bei der medizinischen Versorgung, mittlerweile werden rund 200 schwer behinderte Kranke täglich mit einer warmen Mahlzeit versorgt. „Ich wusste nicht, was mich erwartet, und wurde von den Problemen förmlich überrollt“, erinnert sich der Niederösterreicher zurück. Mit 72 wird er die humanitäre Mission nun in jüngere Hände legen.

M'Balling - unfassbare Schönheit inmitten unfassbaren Leids
M'Balling - unfassbare Schönheit inmitten unfassbaren Leids © Joachim Bergauer


Hainzl war es, der Joachim Bergauer 2009 dazu überredete, einmal nach M’Balling zu kommen. Aus der ersten Begegnung mit den Menschen wurde eine dauerhafte Beziehung. Insgesamt verbrachte der 53-jährige Salzburger mittlerweile schon viele Wochen dort. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis das gegenseitige Vertrauen da war und vor allem: Bergauer wollte nicht wie ein schießwütiger Pressefotograf in diese besondere und faszinierende Welt eindringen. „Ich habe mit ihnen Fußball gespielt“, erinnert er sich an die ersten Kontakte. Geholfen habe ihm auch sein komödiantisches Talent. Erst die Nähe zu den Bewohnern hat Beziehung geschaffen und die Angst vor der Kamera genommen.
So sind in den vergangenen neun Jahren faszinierende Fotos entstanden, die sich auf 160 Seiten in einem Bildband wiederfinden. Ein einzigartiges Zeugnis von Menschen, die ihren widrigen Lebensumständen auf bewundernswerte Weise mit Humor, Würde und Schönheit begegnen.

Bergauer: „Für viele ist Afrika mit Armut besetzt, aber ich will ein anderes Bild vermitteln. Ich will beim Betrachter die Neugier wecken, diesen Kontinent, dieses tolle Land zu sehen.“
Es ist sein persönliches Hilfsprojekt geworden, der Reinerlös aus dem Buchverkauf fließt direkt in das Dorf zurück. Jahrzehntelang lebte auch M’Balling vom Fischfang im Atlantik. Doch durch die Ausbeutung internationaler Fangflotten kann das Meer die Menschen nicht mehr ernähren. Arbeitsplätze in Industrie und Gewerbe gibt es kaum, Landwirtschaft ist in der Sahelzone nur beschränkt möglich. Von den 13 Millionen Einwohnern Senegals sind rund 60 Prozent jünger als 20. Die Bevölkerung hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten verdoppelt. Vor allem Jugendliche wollen dem Elend entkommen. Ihr Ziel sind die Kanarischen Inseln. In einem Jahr starben bei der gefährlichen Überfahrt, von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbemerkt, 6000 Menschen. „Barça oder Barsax“, sagen sie dazu in M’Balling. „Barcelona oder die Hölle.“

Vom einst florierenden Fischfang sind nur noch die Boote geblieben
Vom einst florierenden Fischfang sind nur noch die Boote geblieben © Joachim Bergauer


Bergauer wird schon bald wieder in „sein“ Dorf aufbrechen. „Es ist für mich Heimat geworden“, sagt er. Die Reisen in den Senegal seien auch so etwas wie Therapie: „Ich kehre beruhigt nach Hause zurück. Du hast einen ganz anderen Blick auf diese Welt.“