"Lha Gyalo, murmelt der Buddhist, als wir am Dochula-Pass in 3150 Metern Seehöhe ankommen. Er bedankt sich bei den Göttern für die gute Ankunft. Da schließen wir uns mit Freude an. Lha Gyalo! Nach mehreren, teils holprigen Stunden im Kleinbus, schier endlosen Serpentinen mit Blick auf doch beträchtliche Abhänge kommt einem so ein Wort der Dankbarkeit leicht über die Lippen. Die sich dann gar nicht mehr schließen, denn bei diesem Ausblick muss einem der Mund offen bleiben. Am Horizont verziehen sich gerade die letzten Wolken und geben einen unbeschreiblichen Blick auf das verschneite Himalaja-Massiv frei.
Wir sind mitten in Bhutan, auf der Fahrt von der Hauptstadt Thimphu nach Punakha.

Moment, Bhutan, Bhutan. Hmm, wo genau ist das noch einmal? Und irgendwas Besonderes ist doch mit diesem Land, was war das noch? Das sind doch die mit dem ... ja genau, Glück!

Es ist das größenmäßig mit der Schweiz vergleichbare Land zwischen China und Indien, das angeblich nicht das Bruttonationalprodukt misst, sondern das Bruttonationalglück.
Beim Abendessen in Thimphu treffen wir den englischen Honorarkonsul Sir Michael Rutland. Er lebt seit 1971 in Bhutan und weiß, was es mit diesem Bruttonationalglück auf sich hat: „Das Wort hat der vierte König bei einer Pressekonferenz erfunden“, schmunzelt Rutland. Ein Journalist habe sich nach dem Bruttonationalprodukt von Bhutan erkundigt, das damals, in den 1970er-Jahren, sehr niedrig war. Der König antwortete: „Mich interessiert nicht das Bruttonationalprodukt, sondern das Bruttonationalglück.“

Der spontan kreierte Begriff machte weltweit die Runde, wurde zur Marke. Und obwohl es nicht tatsächlich gemessen wird, hat das mit dem Bruttonationalglück einen wahren Kern. Der König habe laut Rutland schon damals verstanden, dass ein Bauer in seiner Dorfgemeinschaft und mit dem Bewirtschaften eines Stücks Land glücklicher ist, als wenn er um 50 Dollar die Woche in einer Nike-Fabrik arbeitet. In diesem Geist werde das Land regiert.

Mittlerweile ist das Bildungsniveau stark gestiegen, akademische Abschlüsse sind häufig. Aber auch die Landwirtschaft bleibt wichtig, hier geht Bhutan mit einer Art „Urlaub am Bauernhof“ neue Wege.
Wir besuchen Bäuerin Pema Dema im 80-Haushalte-Dorf Talum, gelegen in der Provinz Haa. Hier, auf 3000 Meter Seehöhe, wuchern die Getreidefelder nahezu beim Fenster herein. Die Familie empfängt uns herzlich, Pema Dema präsentiert stolz ihre Zimmer. Sauber, fünf Quadratmeter groß, eine Matratze am Boden als einzige Ausstattung. Das ist gewöhnungsbedürftig, doch wenn am Abend die ganze Familie mit den Gästen am Holzboden in der Küche sitzt, alle gemeinsam Hoentay zubereiten und den landestypischen Ara-Schnaps trinken, ist das Zimmer nur noch Nebensache. Hoentay schauen übrigens aus wie Kärntner Nudeln, sind aus Buchweizen und gefüllt mit Schwammerln, Ingwer, Rüben, Chili und Spinat. Eine Spezialität im Haa-Tal, während Ema Datshi (Eintopf aus Chilischoten und Yak-Käse) als Nationalspeise gilt. Pema Dema ist stolz, hier etwas für Gäste geschaffen zu haben. Und wenn Gesichtsausdruck, Mimik und ihre Art zu sprechen nicht täuschen, dann ist sie – glücklich.

Abendessen in der Küche von Pema Dema (Bildmitte)

Wer weniger glücklich ist mit dem Zimmerstandard am Bauernhof, darf beruhigt sein. Bhutan kann auch nobel. Ob Le Meridien in Thimphu und Paro, das Taj Tashi in Thimphu oder das Dhensa Resort in Punakha – Häuser wie diese müssen keinen Vergleich mit westeuropäischen Standards scheuen. Das Handynetz übrigens auch nicht, der Empfang ist so gut wie flächendeckend.

Wir steigen wieder ein in den Toyota Hiace, Fahrer Wangchuck steuert langsam, aber sicher die Bergstraße hinunter. Unten geht’s mit einem runden 70er gemütlich dahin, friedlich auf der Straße liegenden Hunden und Kühen weicht jeder aus. Reime auf großen Schildern an den Straßenrändern mahnen zu Gelassenheit. Und zu Alkoholverzicht: „After drinking Whiskey driving is risky“, steht da etwa zu lesen – nach Whiskeygenuss ist das Fahren gefährlich.
Deshalb verzichtet Wangchuck beim nächsten Halt auf den Whiskey. Wir nicht. Der in Bhutan produzierte Himalaja-Whiskey K5 will verkostet sein, und dafür gibt es bei diesem Bogenschieß-Turnier Gelegenheit. Bogenschießen, das ist der Nationalsport im Land des Donnerdrachens. Bei diesem Turnier treten die Männer aus Haa gegen die Gäste aus Paro an. Mannschaftsführer sind die Gouverneure der beiden Provinzen.
Es geht stimmungsmäßig zu wie hierzulande beim Eisstockschießen. Geschossen wird in diesem Fall mit Compound-Bögen, woanders auch mit traditionellen Bambus-Bögen. Das Ziel ist eine kleine Holztafel in beachtlichen 145 Meter Entfernung. Sogar bei Olympischen Spielen waren Bhutaner dabei, für Medaillen hat’s nie gereicht. Schelmisch begründet Kinzang Dorji, Gouverneur von Haa: „Beim Bogenschießen trinken, tanzen und singen wir, wir ziehen uns gegenseitig auf, haben einfach Spaß, deshalb gewinnen wir bei Olympia nichts.“ Er lacht und hebt das Glas mit dem – übrigens exzellenten – Whiskey.

So ein Glas kann auch beim Anflug auf Bhutan nicht schaden, für den Piloten eine Spezialausbildung brauchen. Im rasanten Sinkflug geht’s zwischen den Bergen Richtung Flughafen Paro. Kleiner Tipp: Wer mit der königlichen Druk Air vom indischen Neu-Delhi nach Bhutan fliegt, möge einen Sitz auf der linken Seite buchen. Wenn dann das Himalaja-Gebiet sichtbar wird und der Mount Everest auftaucht (darauf weist der Kapitän extra hin), ist das der erste Reisehöhepunkt.

Exakt 504 Österreicher waren im Vorjahr in Bhutan. Das lässt sich wegen der besonderen Voraussetzungen für eine Einreise (siehe Infobox unten) so genau sagen. Inder, Chinesen, Amerikaner kommen am häufigsten.
Eines muss jeder gesehen haben: das Tigernest, ein ins Gebirge drapiertes buddhistisches Kloster auf 3120 Meter Seehöhe. Untrainierte nehmen den Anstieg zum „Taktshang“ besser auf dem Rücken eines (geführten) Pferdes in Angriff, wer gut bei Fuß ist, schafft es in zwei Stunden. Gut investierte Zeit und Kraft, der atemberaubende Bau, eine ebensolche Aussicht ins Paro-Tal und die von Reiseführer Sonam lebhaft geschilderte Geschichte des Klosters lohnen es. Sollten Sie Bhutan eines Tages bereisen, kann es übrigens gut sein, dass auch Ihr Reiseführer den Namen Sonam trägt, weil in Bhutan fast jeder Sonam heißt. Sein Chef ruft ihn deshalb zur besseren Unterscheidung Rockbee, nach einer heimischen Brandy-Marke. Pragmatismus auf Bhutanisch.

Rockbee führt uns jetzt zum Kloster Chimi Lhakhang nahe der kleinen Stadt Lobesa im Punakha-Tal. Die halbstündige Wanderung zum Kloster ist geprägt von – warum nicht zugeben? – Kichern wie zu Volksschulzeiten. Auslöser ist ein farbenfroher Phallus nach dem anderen. Sie prangen in kunstvollen Variationen von fast jeder Hauswand. In den Souvenirshops gibt es sie aus Holz, im Kloster selbst segnet ein Mönch Frauen mit einem überdimensionalen Holz-Phallus – das soll Kindersegen bringen. Außerdem schützen die Abbildungen vor dem Bösen. Andere Länder, andere Sittlichkeit. Der Brauch geht auf den Mönch Drukpa Kunley zurück, der im 15. Jahrhundert Spiritualität und Lebensfreude gelebt hat und als „Heiliger Narr“ verehrt wird.

Solche Fassaden-Gemälde symbolisieren Fruchtbarkeit und Schutz
Solche Fassaden-Gemälde symbolisieren Fruchtbarkeit und Schutz © KK

Bhutan ist zu zwei Dritteln bewaldet, liegt zu 80 Prozent über 2000 Meter Seehöhe – und ist das einzige Nichtraucherland der Welt. Tatsächlich raucht niemand öffentlich, doch ein Geheimtipp: Ganz so streng ist es nicht. Schließlich sollen auch rauchende Reisende glücklich sein.