Nur wenige Stunden vor seinem Tod stieg Ötzi auf seinen letzten Berg. Der Mann aus dem Eis starb in einer Höhe von 3200 Meter. Die Fundstelle am Tisenjoch liegt nicht weit von der Similaunhütte entfernt, eine prächtige Trutzburg gegen Wind und Wetter.


Wir befinden uns im Ötztal, am Übergang von Nord- nach Südtirol. Wir sind eine Gruppe von Bergsteigern und hinter uns liegt ein sechsstündiger Anstieg durch das Niedertal. Wanderführer Alfons Bauer hat uns von Vent begleitet. In dem kleinen Dorf wohnen auf 1900 Meter Seehöhe gezählte 133 Menschen. „Vent wurde vom Schnalstal her besiedelt“, sagt Alfons. Kurz nach Vent untermauert ein Stein wirkmächtig diese Tatsache: „Ab hier gehört der Grund den Südtirolern.“ Vom Beginn des Ötztales bis zum Niederjoch mit der Similaunhütte sind es 65 Kilometer – Platz genug für 250 Dreitausender. Was liegt also näher, als „Meinen ersten echten Dreitausender“ zu erklimmen. So nennt Ötztal Tourismus ein Angebot, das uns auf den 3606 Meter hohen Similaun führen soll. Auf einer alten Route der Schäfer, die noch heute ihre Tiere bis nach Vent treiben, und flankiert von den mächtigen Bergriesen, wandern wir auf den Spuren der Gletschermumie Ötzi, die 1991 am Tisenjoch vom Ehepaar Erika und Helmut Simon gefunden wurde.

Als man den Ötzi fand

„Es war schon spät im Herbst und das Ehepaar Simon kam von der Fineilspitze zu mir in die Hütte“, beginnt Similaunhütten-Wirt Markus Pirpamer seine Erzählung. „Dort oben liegt eine Leiche, sagten sie.“ Pirpamer konnte sich anfangs nicht vorstellen, dass der Fund eine heute auf ungefähr 3258 vor Christus datierte Gletscherleiche aus der späten Jungsteinzeit sein könnte. Pirpamer holte Erkundigungen ein, ob in den letzten Jahrzehnten jemand vermisst worden war, und stieg selbst zum Tisenjoch auf, um dabei zu helfen, die Leiche aus dem Eis zu holen – bald darauf wurde die Leiche mit dem Helikopter abtransportiert und in Innsbruck stellte sich die Sensation heraus: Man hatte die älteste natürliche Mumie der Welt gefunden. Auf die Similaunhütte, die im Besitz der Familie Markus und Ulrike Pirpamer ist, hatte das keine Auswirkung – mit dem Reisebus ist die Hütte nicht erreichbar.
Vom Speisesaal sieht man durch die Panoramafenster das Ziel der Bergtour: den Similaun. Bergführer Thomas Pirpamer, Bruder von Markus, übernimmt von hier die Führung. Zur Eingewöhnung haben wir schon zwei Tage zuvor am Rofenkarferner erste Gletscherübungen absolviert.
Die Gruppe ist motiviert, labt sich am köstlichen Lammbraten aus eigener Produktion und Spaghetti Bolognese (Italien ist ja nur einen Steinwurf entfernt) und versucht auf über 3000 Meter zu schlafen. Kurz noch mit Tee, Kaffee und Brot gestärkt, danach stapfen wir im Gänsemarsch über den Gletscher. Der Wind bläst, die Kälte motiviert zur Bewegung und die Höhe macht sich Schritt für Schritt bemerkbar. Thomas spurt vorneweg und führt sicher über den Gletscher. Die letzten paar Meter über den Grat sind keine große Hürde mehr, bald sind 3606 Meter erreicht. Thomas und Alfons stellen sich zum Gipfelkreuz, ein Gipfelstürmer nach dem anderen gesellt sich dazu.

Die Similaunhütte auf über 3000 Meter Seehöhe
Die Similaunhütte auf über 3000 Meter Seehöhe
© Jochen Müller/ Tobias Siegele


Vor mehr als 5000 Jahren kam nicht weit von hier „Der Mann vom Similaun“ vorbei. Für ihn war es die letzte Reise, für uns folgt noch der sichere Abstieg, ein Abstecher auf einen Kaffee in die tiefer gelegene Martin-Busch-Hütte und einige Stunden später erreichen wir Vent, wo man uns freudig begrüßt – einen Teil der Venter kennen wir schon, es sind ja nur 133.

Bergführer Pirpamer und Wanderführer Alfons Bauer flankieren die Gipfelstürmer
Bergführer Pirpamer und Wanderführer Alfons Bauer flankieren die Gipfelstürmer
© Jochen Mueller