Das Wetter ist schuld. Das sagen die, die im Urlaub gerne um zwei Uhr in der Früh aufstehen, damit sie um fünf auf einem trostlosen Flughafen sind und dort stundenlang auf den Abflug warten. Oder die, die sich tagelang in größter Hitze über verstopfte Autobahnen nach Süden quälen. Um endlich in jenen Breiten zu landen, wo die heißeste Jahreszeit noch viel heißer ist als bei uns. Dort liegen sie dann Haut an Haut in den „Hotspots“ und genießen schwitzend das Nichtstun zwischen Mittags- und Abendbuffet. Man bucht Sonnengarantie und flüchtet spätestens ab 10 Uhr vormittags erschöpft in den spärlichen Schatten.

Unvergleichlich sind dagegen die Lockungen des Reiseziels Österreich: Du startest los, wann du möchtest. Machst Pausen, wo du willst. Du brauchst keinen Voucher, keine Reservierung, kein Visum, keine Impfungen, kein fremdes Geld, kein Roaming und nicht einmal einen Reisepass. Du gehst zu Fuß, fährst mit dem Rad, mit Zug oder Auto – aber stets dort und dorthin, wo die Massen gerade nicht sind.

Gut, am Seeufer ist es natürlich dichter. Das gilt aber auch nur für die „obersten drei Dutzend“ der vielen Hundert Seen und Badeplätze, die hierzulande ins Wasser locken. Es gibt Flussufer, Sandbänke, Gebirgsseen und versteckte Teiche, die man auch an heißen Tagen für sich allein haben kann – wenn man weiß, wo sie sind.

Viele verborgene Schätze

Österreichurlaub bedeutet, sich einzulassen auf die Erkundung des Alltäglichen, das hinter seiner gewohnten Maske viele verborgene Schätze offeriert. Auch nach Jahren findet man auf Wanderungen oder Radtouren neue Areale, kleine Paradiese auf verlassenen Almen, Kraftplätze auf Blumenwiesen, Wasserfälle in finsteren Schluchten oder einen noch nicht gekannten Schwammerlplatz im Wald. Man stößt auf alte Kultur- und Industriebauten, verlassene Bergbausiedlungen, originelle Denkmäler, liebevoll gepflegte Gedenkplätze. Es kann passieren, dass man stundenlang über entlegenste Hochflächen radelt und plötzlich zwischen Weide und Wassertrog vor einem halben Flugzeugwrack steht – abgeschossen im Zweiten Weltkrieg, konserviert von Einheimischen. Nicht als Touristenattraktion, sondern in stillem Gedenken.

Meist ist das Auto der Schlüssel fürs tiefere Schürfen. Genauer: die Abkehr vom Auto. Denn die Einsamkeit beginnt immer dort, wo die Straße endet. Jeder kennt das: Fünf Minuten weggehen vom Parkplatz oder von der Bergstation – und man fühlt sich als Pionier, der vorstößt ins Menschenleere. Die Elektrofahrräder haben diesen Effekt etwas aufgeweicht. Oder, wie ein Hüttenwirt sagte: „Früher bin ich mit dem Rad auf die Alm gefahren, damit ich gewisse Menschen nicht sehe. Heute kommen sie mir mit dem E-Bike entgegen.“

Entspannende Spannung

Andererseits ist das E-Bike ein zusätzlicher Schlüssel für den Vorstoß in den weiten alpinen Raum. Dieses Paradies öffnet sich nun auch für Ältere, weniger Trainierte, Familien. So entsteht die Kernkompetenz des Österreichurlaubs: entspannende Spannung. Es geht um den positiven Stress, der mit dem Entdecken, dem Erkunden, der körperlichen Betätigung und dem Austesten der eigenen Grenzen entsteht. Zugleich fehlt der negative Stress der Fernreise. Denn man ist ja im angestammten Habitat mit all seinen Qualitäten. Zu denen zählen: kurze Wege, Trinkwasser aus der Leitung und im Badesee, beste Lebensmittel, ein funktionierender Staat, berechenbare Infrastruktur. Und die erweiterte Selbstgestaltung des Urlaubs, weil man nicht von Fahrplänen, Flugplänen und Sightseeing-Tabellen des Fremdenführers abhängt. Sogar das Reden fällt leicht, weil man die Sprache versteht – also, theoretisch. In manchen Alpentälern soll das ja anders sein.

Sehnsucht nach Meer

Bleiben ein paar Problemfelder, die man nicht leugnen kann. Das vielleicht wichtigste: Die Sehnsucht nach Meer muss unbefriedigt bleiben. Zwar ist das Schwimmen, Paddeln, Rudern im sauberen Süßwasser eh lustiger als bei Windstärke acht auf hoher See. Aber der Chlorgeruch in der Therme und das Rauschen des Wildbachs sind halt kein echter Ersatz für Strandbrise, sanften Wellengang und Salz auf der Haut. Man kann dazu nur sagen, dass es auch auf den Bergen schöne Sonnenuntergänge gibt und dass wir uns die Sehnsucht nach dem Maritimen und Exotischen heuer halt in ungestillter Form ins nächste Jahr mitnehmen müssen.

Andere Einwände lassen sich entkräften. So etwa die Vermutung, dass Österreichurlaub nur etwas für Reiche sei, weil der Durchschnittsverdiener keine 400 Euro pro Nacht im Fünfstern-Superior hinblättern kann. Daran ist nur richtig, dass es, wie überall auf der Welt, auch hierzulande eine Highend-Spitzenhotellerie gibt. Aber sehr oft lauern schon um die Ecke die wesentlich preiswerteren, aber wenig bekannten Optionen.

Man denke an die Seen: Direkt am Ufer ist es teuer, doch schon wenige Meter dahinter findet man solide Pensionen, die keineswegs bei der krachledernen Hirschgeweih-Optik der 50-Jahre stehen geblieben sind. Erst recht gilt das in den Bergen. Österreich ist ein Wintersportland. Das bedeutet ein Überangebot an Infrastruktur im Sommer. Die Quartiere sind meist billiger als im Winter, im Preisband 30 bis 70 Euro lassen sich noch im letzten Alpendorf gute Unterkünfte finden. Und wem das immer noch zu teuer ist, der kann Privatzimmer mit Klo am Gang als Zeitreise buchen. Oder in der Ferienwohnung den Vorteil genießen, dass man auch nach zehn Uhr frühstücken und überhaupt genau dann essen darf, wann man will. Das hat sich als Gästewunsch in die Hotels noch nicht durchgesprochen.

Trotzdem ist Österreichurlaub nur etwas für gut Betuchte. Gemeint sind Anorak und Lodenjanker, womit wir zu guter Letzt wieder beim Wetter sind. Das bietet gewiss viel Abwechslung. Man muss aber kein Masochist sein, um das als Vorteil zu sehen. Unvergessen sind die verregneten Sommerurlaube in Kärnten: Jeden Morgen stellte sich der Wirt auf die Terrasse, blickte unverdrossen auf die nebelverhüllten Berge und sagte mit unerschütterlichem Kennerblick: „Dort drüben reißt’s schon auf!“ Das konnte man glauben oder nicht.

Von einer Radtour trocken nach Hause zu kommen – das war ein Glücksgefühl, als hätte man sein Schicksal bezwungen. Öfter freilich bot sich Gelegenheit, all die teuren „atmungsaktiven“ Sportklamotten aus dem Rucksack zu holen und den Kennwert „Wassersäule“ zu testen. Windschutz, Sturmhaube, Regenhaut: alles besser als die ölige Sonnencreme im Gesicht.

Qualität und Vielfalt

Es ist also in Sachen Österreichurlaub eine Wasserscheide zu beachten: Wessen liebste Urlaubsbeschäftigung das Herumliegen ist oder wer gerne mit durchgeröstetem Körper den Hautarzt verschreckt, der wird in der Heimat kaum glücklich werden. Wer aber aktiv, flexibel und neugierig ist, darf sich freuen. Vor der Haustür liegt ein Eldorado, das in dieser Qualität und Vielfalt sonst kaum auf dem Globus zu finden ist.