Französische Vasen im Spiegelsalon, Intarsien im Jagdzimmer, Geschirr aus Kopenhagen, ein imposantes Stiegenhaus – der „Herbst Palast“ zeigt, wie mächtig und reich sein Besitzer war. Und Carol Scheiblerwar der mächtigste und reichste Mann in Lódz. 1875 aus Aachen gekommen, baute sich der Unternehmer hier ein Textilimperium auf. Ein Imperium, dessen backsteinerne Zeugnisse Jahrzehnte nach seinem Ende als Bauruinen vor sich hin vegetierten und die drittgrößte Stadt Polens nicht gerade zum Synonym für Touristenparadiese werden ließen.

Jetzt ist Lódz dabei, das zu ändern, und wandelt das historische Erbe zu einem Markenzeichen um. Die Stadt ist Bewegung. Sie ist modern. Sie ist Veränderung. Und Geld. Freilich, Geld, das großteils von den Zuwendungen der EU stammt, doch die Stadtplaner machen aus Lódz damit so etwas wie einen knisternden Hotspot.

Der 700.000-Einwohner-Ort ist längst keine graue Maus mehr, sondern Universitätsstadt, Filmstadt, Stadt der Gemälde auf hässlichen architektonischen Altlasten, Stadt der Radler, und, ja, vor allem noch Stadt der Backsteinbauten.

Das 19. Jahrhundert

Noch ein kurzer Blick zurück: Das industrielle Zeitalter hatte die Stadt verändert. Um 1800 lebten in Lódz gerade einmal 1000 (!) Menschen, hundert Jahre später explodierte die Zahl auf 170.000. Textilfabriken, Webereien, Färbereien, und Druckereien sprossen an allen Ecken, Türme spuckten Kohlerauch aus, Zehntausende arbeiteten 16 Stunden am Tag, auch Kinder ab dem 12. Lebensjahr schufteten in den Fabriken und verhalfen Leuten wie Carol Scheibler zu Reichtum, machten Lódz berühmt für Industrie, Arbeit und Fabriken.

Zahlreiche Attraktionen

Weltkriege, Wirtschaftskrisen und Kommunismus veränderten alles. Die Textilfabriken verwaisten, was blieb, war herber Ostblock-Charme. Vor rund 15 Jahren begann sich Lódz dann seines Erbes zu besinnen. Die Backsteinkolosse von einst wurden renoviert und neuen Bestimmungen übergeben. Alles überragend ist die „Manufaktura“ im Zentrum, die aus einer gewaltigen Textilfabrik ein modernes Zentrum macht, mit extrovertiertem Hotel (samt Dachterrassenpool), einem Einkaufszentrum, Fitnessstudio, Kino, Geschäften, allem, was das Herz begehrt. Autofrei und „aufgeräumt“.

Große Persönlichkeiten

Eine Million Touristen kommen heute vorrangig aus Spanien, Frankreich und aus der Ukraine. Aus Scheiblers Arbeiterstadt „Pfaffendorf“ wurde eine liebliche Vorstadtsiedlung, das pulsierende Zentrum bildet die 4,5 Kilometer lange Ulica Piotrkowska, eine Einkaufsstraße mit fabelhaften Restaurants und Hinterhöfen, die für Überraschungen sorgen. Etwa ein mit spiegelnden Glassplittern versehener Hof, atemberaubende Wandmalereien und immer wieder Kunst. Arthur Rubinstein, berühmtester Sohn der Stadt, begegnet einem immer wieder als Skulptur. Zbigniew Boniek, Fußball-Ikone der 80er-Jahre, lebte einst in der Vorstadt, Regisseur Roman Polanski hat einen Stern wie in L.A.

Drittgrößte Stadt Polens

Heute ist Lódz nach Warschau und Krakau drittgrößte Stadt Polens. Und es ist am Sprung. Ein unterirdischer Bahnhof – der drittgrößte Europas –, in dem derzeit nur der Zug nach Warschau verkehrt, als Ausdruck der Aufbruchstimmung. Eine Hochgeschwindigkeitsstrecke soll die Stadt mit den Metropolen verbinden und gilt als derzeit größtes Eisenbahnprojekt in Europa. Die Autobahn führt durch Tschechien und Schlesien bald vollständig von Österreich nach Lódz.

"Theo,  wir fahren..."

Außerdem arbeitet die Stadt fieberhaft auf die Green Expo 2024 hin, bei der in vier Monaten vier Millionen Besucher erwartet werden. Lódz will grün werden – richtig grün. Spätestens dann wird klar sein, das Lód(´z) kein Ort für die Durchreise mehr ist. Man muss hier nicht mehr die Luft anhalten. Und – man muss einen Bericht über Lódz nicht mehr mit Vicky Leandros und dem Lied „Theo, wir fahren nach Lódz“ beginnen. Die Stadt kann weit mehr.