Wo wir gelandet sind, dämmert uns erst bei der Ankunft. Ein Schild warnt: „High Crime Area“, unser Fahrer will partout nur direkt vor dem Lokal halten, uns auf keinen Fall zu Fuß gehen lassen, nicht einmal ein paar Meter weit. Wir fahren eine Extrarunde, bis uns unser Gastgeber abholt. „Alles cool“, lächelt Sanza Sandile, ein freundlicher, afrikanisch-bunt gewandeter Typ Mitte 40, und winkt uns herein.

Sanza ist im Yeoville Dinner Club Gastgeber, Koch und Kellner in Personalunion. Drin sieht es eher aus wie eine bunt zusammengewürfelt eingerichtete WG-Küche mit Riesentisch. An ihm nehmen jeden Abend knapp 20 Gäste Platz und lassen sich von Sanza bekochen - „panafrikanisch“, großteils vegetarisch, extrem spannend.

Spannend ist freilich auch die Umgebung, auch wenn wir diese lieber vom Balkon aus betrachten - als wäre es eine kleine Theateraufführung, wird gerade ein Dealer von ein paar Polizisten verfolgt. „Das sehen wir fast jeden Abend“, zuckt Sanza mit den Achseln.

Inmitten von Johannesburg, das lange als die gefährlichste Stadt der Welt galt, war Yeoville noch in den Achtzigerjahren multikulturelles Künstlerviertel und danach extrem heruntergewirtschaftet, einer der kriminellsten Stadtteile. Mittlerweile geht es wieder bergauf - dank Bewohnern wie Sanza, die für ihr Viertel kämpfen. Er tut das, indem er Afrika und die ganze Welt an einen Tisch bringt und alle mit köstlichem Essen vollstopft. Aufgetischt wird großzügigst - doch was macht er mit den Resten? Da gibt es eine Doppelbuchung: „Wenn ihr weg seid, kommen die nächsten Gäste“, erzählt er uns: „Ich lade die Gangster von hier ein, dafür werden meine Gäste von ihnen beschützt.“

Township und Symbol des Widerstandes

Am Nachmittag davor lernten wir einen anderen Teil von Johannesburg kennen: Soweto, die wohl bekannteste Township überhaupt. Die Stadt in der Stadt war bis zur Apartheid das Zuhause der nichtweißen Bevölkerung (das inkludierte neben Schwarzen auch „Coloureds“ und Inder) und wurde mit dem Schüler-Aufstand 1976 zum Symbol des Widerstandes.

Auch heute noch sind 95 Prozent der 1,2 Millionen Einwohner schwarz: „Mittlerweile gibt es einen Mittelstand, aber nach wie vor viele arme und sehr arme Menschen“, erzählt unser Guide, ein junger Xhosa, der sich einen Spaß daraus macht, uns Sätze in seiner Sprache vorzusagen - Klicklaute inklusive. Im Viertel Orlando - Wahrzeichen sind zwei bunt bemalte Kühltürme des Kraftwerks, die heute als Bungee-Turm dienen - und dort vor allem in der Vilakazi-Straße tummeln sich viele Touristen. Ist es doch die einzige Straße weltweit, in der zwei Nobelpreisträger (Nelson Mandela, Desmond Tutu) lebten. An die Schülerproteste erinnern einige Statuen und ein Museum.

Strategisch gut platziert, da wo die Busse parken, hat sich Thabo Modise, ein Musterbeispiel des neuen Mittelstands, aufgebaut. Der schlaksige junge Mann nennt sich selbstbewusst „Number One Shovanista“, verkauft in seiner Galerie lokale Mode und Kunst. Er ist überzeugt, dass Soweto riesiges Potenzial hat: „Unsere Vision ist es, die Wirtschaft hier weiter anzukurbeln.“

Bei den Ärmsten der Armen

Wer sehen will, wie die Ärmsten der Armen leben, muss nicht weit fahren: ein paar Hundert Meter weiter an der Straße stoppen und sich von einem der Männer ansprechen lassen, die dort auf Touristen warten. Wie Lawrence, rund 50 Jahre alt, rote Trainingsjacke, der Atem eindeutig nach Alkohol riechend. Er freut sich aber sichtlich, uns durch Nomzamo Park führen zu dürfen. Für ein kleines Trinkgeld, das der Nachbarschaft zugutekommt, wie er sagt. Im 2500-Menschen-Slum dürfe man sich übrigens weitaus sicherer fühlen als etwa in Yeoville: „Das hier ist eine verbrechensfreie Zone.“ Wellblechhütten reihen sich dicht aneinander, dazwischen spielen Kinder. Es gibt keinen Strom, keine Schulen - aber immerhin sauberes Wasser, das von der Stadt zur Verfügung gestellt wird. „Wir halten hier zusammen“, sagt Lawrence, „abschotten könnte man sich hier aber auch gar nicht, es gibt keine Türen.“

Dass erschreckend viele Menschen in Hütten hausen, wird uns beim nächsten Teil der Reise bewusst: Es geht in die weitgehend untouristische Nordkap-Provinz, nach Kuruman, Oase und Minenstadt in der Kalahari. Statt unleistbarer Wohnungen holen sich arme Arbeiter hier eine Hütte - als Set im Baumarkt.

Afrika erleben - zwischen Autoreifen

Am Weg zu den Nationalparks (mehr dazu rechts) besuchen wir eine ganz andere Attraktion. Dabei würden wir zuerst am liebsten sofort umdrehen. Der „Workshop Ko Kasi“, den die Tourismusexpertin Mpho Cornelius hier vor drei Jahren gegründet hat, besteht größtenteils aus alten Autoreifen und Paletten, geschlafen wird im Zelt. Mpho will ein authentisch afrikanisches Erlebnis bieten, das heißt zunächst afrikanische Märchen am Lagerfeuer - und nachts bellende Hunde und Lastwagenverkehr. Am zweiten Tag steht eine frühmorgendliche Wanderung auf den prähistorisch besiedelten Gamohana-Berg an. Dann: Wellness. Wir bekommen die Füße von Nachbarsfrauen mit einer Rooibos-Zucker-Mischung geschrubbt. Und drehen eine Runde per Eselskarren, wobei ein paar Kinder an der Straße wortwörtlich vor Lachen umfallen: Weiße! Auf einem Eselskarren!!!

Das Lachen steckt aber an, wie auch die Gastfreundschaft von Mpho und ihrem Team, aus der wir, so fühlt es sich an, den ersten Wortteil bald streichen. „Wir wollen, dass unsere Gäste zu Freunden werden“, sagt auch Mpho zum Abschied. Und an einem derart schrägen Ort mitten in der roten Kalahari-Wüste scheint das ausnahmsweise wirklich ernst gemeint.

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