Auf meiner Wanderung in der spanischen Meseta lässt mich ein Gedanke nicht mehr los: „Warum gehen Abertausende den Jakobsweg? Warum ich?“ Ist es der Reiz des Abenteuers, um Abbitte zu leisten, oder weil es alle machen?

Nach dem „Caminho Português“ im letzten Jahr war klar: Ich mache mich wieder auf den Weg. Diesmal stand aber eine Art Luxusvariante des Pilgerns auf dem Programm. Einzelne Etappen des rund 800 Kilometer langen Wegs von Pamplona bis Santiago de Compostela werden dabei – mit Unterstützung eines Busses und Gepäckservice – in Angriff genommen. Ich weiß, ich weiß. Das hat jetzt mit Pilgern im herkömmlichen Sinn nichts zu tun. Die geführte Reise ist sozusagen ein Schnupperabenteuer für alle, die sich die gesamte Strecke zu Fuß nicht zutrauen oder nicht alleine gehen möchten. Auf jeden Fall muss man sich so weder um einen Schlafplatz noch um Einkehrmöglichkeiten Gedanken machen.


Bei leichtem Regen geht es am Ibañeta-Pass los, kurze zehn Kilometer werden zum Auftakt gewandert. Pilger zu Pferd sehe ich erstmals in Puente La Reina durch die engen Gässchen trotten. Auch eine Variante, den Jakobsweg zu bestreiten. Das Wetter klart auf, die Sonne blinzelt zwischen Wattebauschwolken durch und die Strecke von Los Arcos bis Torres del Río liegt vor mir. Rund 18 Kilometer sind diesmal das Tagespensum. Wem das zu viel ist, lässt eine Etappe aus und fährt mit dem Bus. Mein Ehrgeiz lässt das natürlich nicht zu und am Abend denke ich: „Warum ist meine kleine Zehe so eine Zicke?“ Natürlich gibt’s wieder Blasen. Aber ein bisschen Leiden gehört wohl dazu.

In der Kathedrale von Santo Domingo de la Calzada schaue ich im Hühnerstall vorbei. Eine weiße Henne und ein weißer Hahn begrüßen hier die Pilger. „Wenn der Hahn kräht, bringt das Glück“, erklärt Reisebegleiter Siggi. Wir haben Glück!

Von Castrojeriz aus geht es erstmals stetig bergauf. Doch die Mühe lohnt sich. Am Alto de Mostelares überblickt man die unendliche Weite der Region Kastilien-León. Emotional wird es am Cruz de Ferro, dem höchsten Punkt entlang des „Camino Francés“. Hier ist es Brauch, einen Stein – und somit alle Sorgen – abzulegen.


Voll gefordert werde ich beim Aufstieg zum Pass O Cebreiro. Zehn Kilometer schlängelt sich der Weg nur himmelwärts. Während im Tal die Sonne scheint, gibt sich das Bergdörfchen mystisch. Nebelschwaden, heftiger Wind. Ein Pilger ruft mir zu: „Das macht Spaß, oder?“ Ich schnaufe: „Ja, sehr!“ Und schon ist er auf und davon.

Nach Wanderungen durch Steineichenwälder und über grüne Wiesen treffe ich am Monte do Gozo auf eine Gruppe polnischer Pilger. Die Kathedrale von Santiago de Compostela vor Augen, beten die jungen Leute den Rosenkranz und singen das Ave Maria. Berührend, wenn man so gemeinsam das Ziel erreicht.

Doch nicht Santiago de Compostela ist das Ende jeder Pilgerreise. Erst in Fisterra, wo man die Weite des Atlantiks überblickt, hat man wirklich sein Ziel erreicht und ich stehe gleichzeitig wieder am Anfang. Denn auf das „Warum?“ weiß ich noch immer keine Antwort.

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