Wörter, Begriffe und Namen haben ein ideelles Aroma. Eines, das oft weit über Abfolge der Buchstaben und deren eigentliche Bedeutung hinausgeht. Dieses Aroma kann Glück verheißen oder unheilschwer sein. Beim Begriff bacherlwarm wird uns wohl ums Herz, bitterkalt indes löst unerfreuliche Gefühle aus. Das mag auch für federleicht und bleischwer gelten. Auch macht es einen Unterschied, ob eine Verkehrsader Gaswerkstraße oder Parkring heißt.

Und erst die Sommerfrische. Ihr etymologischer Widerpart wäre wohl die Winterstarre. Letztere klingt nach Frost und komatöser Anspannung. Im
Begriff Sommerfrische sind mehrere Heilsversprechen verpackt: Wärme, Sonne, Freizeit, Bewegung, Leichtigkeit, frische Luft, Erholung.

Das Fundament der Sommerfrische ruht auf zwei Eckpfeilern: der Hitze in einer Stadt, die es längst vor dem Klimawandel gab und die einst keine Aircondition milderte, und dem Umstand, dass im Juli und im August das politische und teilweise auch wirtschaftliche Leben ein wenig ruhte.
Zumindest in der industriellen Gesellschaft.

Daraus ergibt sich auch, dass vor allem der Adel und die etwas gehobene Gesellschaft diese wohltuende Stadtflucht pflegten. Bauern kannten
keinen Urlaub und natürlich keine Sommerfrische.

Mein seliger Vater, aus kleinsten bäuerlichen Verhältnissen stammend, umschrieb diesen Umstand gern mit einem Gstanzel folgenden Textes: „Wer a Göd hot, fahrt ins Bad im Summa, und wer kans hot, schwimmt im Waschtrog umma.“ – Das ist die minimale Formel, nach der sich die Sommerfrische-Klassengesellschaft beschreiben lässt.

Das Phänomen des Häusels am Land und dessen ganzjähriger Nutzung ist erst um die 50 Jahre alt. Auch die Neigung, dann mit den Landbewohnern in Sachen Rustikalität zu wetteifern und im örtlichen Wirtshaus die Gastrolle „Ich bin einer von euch“ zu spielen.

Sommerfrische findet zwar mehr oder minder auf dem Land statt, hat aber wenig mit Ländlichkeit zu tun. Im Gegenteil: Sommerfrische-Hotspots wie der Semmering, Bad Ischl, Rax, Bad Gleichenberg oder Bad Gastein (siehe folgende Seiten) wetteiferten miteinander, neben intakter Natur, guter Luft und schöner Landschaft gastronomische Eleganz zu bieten.

Nicht für den höheren Adel, nein, wohlhabende Blaublüter übersiedelten bloß temporär vom Stadtpalais ins Jagd- oder Landschloss. Das Zielpublikum der Sommerfrische war das gehobene Bürgertum, Bankiers, Fabrikanten, Ärzte, Juristen, Künstler, Bonvivants etc. und deren Familien, die Abkühlung und Erholung auf gewohntem Niveau suchten.  Und denen lag es fern, dem Furchenadel Konkurrenz machen zu wollen. Sie wollten ihre eleganten Salons und exklusiven Clubs bloß eine Weile ins Grüne verlegen.

Wenn Wikipedia recht hat, stammt der Begriff aus dem Venetianischen. Dort spricht man nicht vom Spazierengehen, sondern von „prendere il fresco“ – Kühlung nehmen. So verfügt etwa Zell am See über ein solides Gästepotenzial aus Saudi-Arabien, da es hier relativ kühl ist und dazu oft regnet.

Dass der Kühlung eine gewisse Schwüle innewohnen konnte, ist aus Arthur Schnitzlers Beziehungsdrama „Das weite Land“ ersichtlich. Der durchaus polyamouröse Fabrikant Friedrich Hofreiter kämpft mit der (zu Unrecht) vermuteten Untreue seiner Gemahlin. Das hält ihn nicht davon ab, eine Affäre mit der blutjungen Erna zu beginnen. Und dies alles am Völser Weiher im Vorland der Dolomiten. Und auch andere Literatur zu illegitimer Erotik in der Sommerfrische gibt es.

Ein Südtiroler Freund berichtete mir einmal vom Gegenteil: In Bozen schickten wohlhabende Bürger sommersüber ihre Familien auf den Hausberg Ritten, um derweil unten in der Stadt sturmfreie Bude zu haben und außereheliches Highlife zu feiern. Was die Sommerfrischler-Damen anstellten, ist nicht überliefert.

Der Begriff Sommerfrische ist heute weitgehend verschwunden, die Urlaubsart indes floriert seit Kurzem wieder. Es ist nicht nur die Hitze, nein, Terrorangst, Flugstress, Strandgedrängel etc. haben eine Art Urlaubsbiedermeier entstehen lassen. Motto: Bürgeralm statt  Ballermann. Zumindest in Österreich melden höher gelegene Urlaubsorte signifikant steigende Gästezahlen. Und es sind nicht finanziell  angehängte Verlierer, die sich dort einfinden. Nein, Junge und Jungfamilien entscheiden sich gegen Badetuch und Sonnenliege für Wanderschuh und Rucksack.

Das hat auch etwas mit Verweigerung von Möglichkeiten und Entschleunigung zu tun: Viele ekelt es mittlerweile vor Badeurlaub in Cancún oder Mauritius. Diesen Fernzielen ist mangels Hindernissen jegliche Abenteuerlichkeit abhanden-gekommen. Und die Hektik der normalen Arbeitswelt lässt eine selbst gewählte Verlangsamung geradezu wie ein Privileg erscheinen, die Ausschaltung der medialen Omnipräsenz ebenso.

Erst jüngst schwärmte mir ein sehr junges Paar von seinen Aufenthalten auf einer heimischen Alm vor. Die Luft, die Stille, die Landschaft seien grandios. Man habe dort alles, was man brauche. Und wunderbarerweise gebe es dort weder WLAN noch ein Mobilnetz. Ganz zu schweigen von den gesellschaftlichen Rückzugsmöglichkeiten, man könne dort wieder einmal ganz bei sich sein.  Kein Zweifel, die Sommerfrische ist wieder da. Vielleicht wird man sie bald Sommerstille nennen.

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