Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht: Die Provence, ganz besonders die Haute-Provence, gehört zu den Alpen. Und kaum anderswo in den Bergen wird Weihnachten so stimmungsvoll gefeiert. Der Mistral fegt den Himmel so blank, dass das strahlende Blau fast in den Augen schmerzt. Literatur-Nobelpreisträger Frédéric Mistral (nomen est omen) schreibt über „seinen“ Wind: „Wer sagt, der Mistral sei wirklich eine Plage und quäle uns mehr, als dass er uns nütze, der hat, glaube ich, nicht recht, denn es ist doch so, dass alle ihn ganz schnell herbeiwünschen, wenn er einmal zwei Wochen lang ausbleibt, ob im Sommer oder im Winter.“

Am nächsten Tag ist es ganz still. Irgendwann nach Mitternacht hat der Wind aufgehört, kurz vor Tagesbeginn hat leichter Schneefall eingesetzt und mit der Verzauberung der Provence begonnen. Von den Alpilles bis hinauf zum Col de Larche, zart und weiß. Ein Tag wie in den Beschreibungen provenzalischer Schriftsteller und Dichter. Und keiner von ihnen hat dieses Thema ausgelassen. Weder Frédéric Mistral („Weihnachten im Elternhaus“) noch Marcel Pagnol („Weihnachten in der Provence“), auch nicht Alphonse Daudet („Die drei stillen Messen“) und schon gar nicht der ganze Stolz der Provenzalen, Jean Giono, mit seinem eher kritisch-humorvollen Blick auf das mit diesem Festtag verbundene Brimborium.

Oliven werden von den Santons der Krippen geerntet
Oliven werden von den Santons der Krippen geerntet © KK

Ein gutes Beispiel für den „schrägen“ Blick des in Manosque geborenen Giono auf die Geburt Christi findet man in seinen „Legenden von der Haute-Provence“: „Bethlehem war zu weit fort. Wenn diese Ereignisse jenseits des Meeres geschehen waren, wer wusste denn, ob das auch wirklich wahr war. Und es musste wahr sein, um jeden Preis. Also haben sie die ganze Geschichte umgeformt. Nicht nur in der Haute-Provence, sondern in ihren Städten ist alles geschehen. Die Krippe stand hier. Die Leute vom Nachbardorf werden sagen, dass sie bei ihnen stand: Lasst sie reden.“

Auf dem Weg in die Bar der kleinen Stadt Barcelonnette in der Haute-Ubaye streckt ein kleines Mädchen die Zunge heraus, läuft den Schneeflocken hinterher, um sie aufzufangen. Am Markt, neben den frischen Oliven der Dezemberernte, Weihnachtskrippen mit den alpenweit üblichen Szenen. Maria, Josef, Jesus, Esel, Ochs, ein paar Schafe. Rundherum haufenweise Hirten, die sogenannten „Santons“, über die Giono schreibt: „Ein Volk, beladen mit Stockfisch (ein komisches Geschenk für eine Schwangere aus Kleinasien), mit Zuckerhüten, mit Spitzenballen, sogar mit geschliffenen Messern.“

Während sich die Kinder in den Gassen aufgeregt über die erwarteten Geschenke unterhalten und die Frauen letzte Einkäufe tätigen, ist die nach Croissants und Kaffee duftende Bar Treffpunkt aller. Die Gespräche handeln vom Mistral, vom Schnee, von der eben erst gewesenen Olivenernte, von Trüffeln, vom Weihnachtsessen, das am Land immer noch etwas ganz Besonderes ist. Zwei Männer, wie es scheint, Olivenbauern, unterhalten sich über das Wetter und den damit verbundenen Frost. Sie hoffen, dass er wieder schnell vorbeigeht, dass es nicht so wird wie 1956, als alle Olivenbäume in der Haute-Provence starben.

Die Oliven sind Teil des Alltags. Sie werden auch am Abend bei keinem Festmahl fehlen. Was bei einem solchen Weihnachtsessen alles auf den Tisch kommt, beschreibt Frédéric Mistral: „Auf dem dreifachen, weißen Tischtuch erschienen nach der Reihe alle Gerichte. Die Weinbergschnecken, die jeder mit einem langen Nagel aus der Schale hervorzog; der gebackene Kabeljau und die Meeräsche mit Oliven; die Lardons, die Schwarzwurzeln, der Sellerie mit Pfeffersauce ...“

Der Charme provenzalischer Weihnachten in Barcelonnette
Der Charme provenzalischer Weihnachten in Barcelonnette © KK

Bei Wanderungen scheint es, als ob aus den überzuckerten Feldern und Hainen Buchstaben herauswachsen würden und sie die zahllosen Geschichten über die Provence erzählen. Von Petrarca, der 1336 seine Besteigung des Mont Ventoux beschrieb, bis zu den „Kommissar Laviolette“-Romanen von Pierre Magnan. In der kleinen Stadt Bargemon wird man wahrlich umhüllt vom Duft der Festessen. Inmitten einer Wolke warmen Olivenöls steht plötzlich die „Weihnachtsgeschichte“ von Alphonse Daudet. Jene des Pfarrers Dom Balaguère, der während seiner Weihnachtsmesse bei den Gedanken an das Festmahl fast dem Wahnsinn verfällt.