Man kennt die Bilder der ausgedehnten Lavendelfelder. Lila durchziehen sie das sanft gewellte Land, durchbrochen von goldgelben Weizen- und Dinkelfeldern. Tausende Touristen kommen im Frühsommer in die Provence, um diese malerischen Eindrücke in sich aufzunehmen. Susanne Zürn-Seiller vom Comité Régional de Tourisme winkt ab: „Das ist nur eine Facette der Provence. Wir haben noch ganz anderes zu bieten!“

Schauriges Verlies vor der Stadt

Die gebürtige Bayerin sagt’s und schwingt sich in ein großes Schlauchboot im Hafen von Marseille, um ihren Gästen die Stadt vom Meer aus zu zeigen. Es geht zu einer kleinen Felseninsel, etwa drei Kilometer vor der Stadt. Edmond Dantès war dort 14 Jahre lang inhaftiert, der Graf von Monte Christo aus dem berühmten Roman von Alexandre Dumas. Dantès ist eine Romanfigur, das Gefängnis Château d’If aber echt. Die düsteren Verliese sind jedoch schnell vergessen, denn die kleine Crew des Bootes wartet schon mit Wein und einem Picknickkorb auf die Gäste.

Marseille ist mit 860.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Frankreichs und hat keinen guten Ruf. „Anderswo gibt es auch soziale Probleme, die sich in Gewalt entladen“, verteidigt Pia Leydolt-Fuchs „ihre“ Stadt. Die gebürtige Wienerin bietet in Marseille Stadtführungen an. Weil sie im Jahr 2009 Linz als europäische Kulturhauptstadt medial betreute, übersiedelte sie kurzerhand nach Marseille, als man sich dort für die Kulturhauptstadt 2013 rüstete.

„Marseille hat die Chance genutzt wie kaum eine andere Stadt“, erläutert Leydolt-Fuchs. Die Stadt hatte 3,5 Milliarden Euro eingeplant, um als Kulturhauptstadt zu brillieren. Geworden sind es sieben. Drei Stadtteile wurden erneuert und den Hafen hat man mit modernem Wohnraum, Einkaufsmeilen, Büros, Hotels, Freizeitanlagen und Museen so frisiert, dass sie ein Besucher, der vor zehn Jahren dort war, nicht wiedererkennt. Manches Alte wurde behutsam bewahrt, aber man hat auch radikal Neues geschaffen. Die abenteuerliche Morbidität von früher ist weg.

Vom Flughafen "Marseille Provence" ist man in anderthalb Stunden im Département Vaucluse. Durch eine sanfte Hügellandschaft erreicht man die „7 schönsten Dörfer Frankreichs“. Unter ihnen nimmt das Bergdorf Gordes eine Sonderstellung ein. Alte Steinhäuser drängen sich um eine mittelalterliche Burg. Am Morgen sind die Straßen leer, da haben die Pensionisten noch Ruhe vor den Touristenbussen und erzählen sich beim Morgenkaffee den örtlichen Tratsch. Noch gehören die Cafés ihnen allein. Einige Maurer flicken bedächtig Paris in nichts nachsteht – oder zumindest nicht viel.

Stadt der 101 Brunnen

Zauberhaftes Flair bietet Aix-en-Provence, die „Stadt der 101 Brunnen“ und Heimat des Malers Paul Cézanne (1839–1906). Zeitlebens plagten ihn Geldsorgen, seinen Weltruhm erlebte er, wie viele andere Maler, nicht mehr. Man kann in Aix sein Atelier und jede Menge Gedenkstätten besuchen. Aix ist auch bekannt für die Calissons, ein Konfekt mit Mandeln und kandierten Orangen, das 1473 vom Koch des Herzogs René von Anjou kreiert wurde. Vincent Chastel von der Confiserie du Roy René ist stolz auf das Originalrezept. Seine Calissons stellt er auf uralten Maschinen her – aber nur für Gäste, auf diese Art könnte er den Bedarf längst nicht decken.