Alle fahren nach Barcelona. Wahrscheinlich, weil es am Meer liegt. Wie Böhmen. Das wusste schon Shakespeare "Im Wintermärchen". Und nach ihm Ingeborg Bachmann. Ich fahre nach Madrid, das nicht am Meer liegt. Sondern auf einem zentralen Plateau fast 700 Meter über dessen Spiegel. Seit Jahren fahre ich immer wieder nach Madrid. Diesmal in ein Hotel in der Calle de Alcalá. Außen Art Deco, innen U-Boot. Gänge ohne Fenster, Zimmer mit Schlitzen statt Fenster. Folge einer Gewinnoptimierung nach der Raummaximierungsformel "Aus-Eins-mach-Zwei" (Stockwerke).
Perfekte Lage. Aber die Lage ist perfekt, wie der Blick vom rundum verglasten Frühstücksraum im sechsten Stock. Die Gran Via rauf und runter. Auge in Auge mit der Kuppel des Edificio Metrópolis. Herrlicher Zuckerguss vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Startplatz für eine geflügelte Siegesgöttin.
Der Prado. Einen besseren Startplatz kann sich auch der kunstsüchtige Madridbesucher nicht wünschen. U-Boot hin, U-Boot her. Das erste Kunst-Haus der Stadt ist in ein paar Minuten zu Fuß erreichbar. Und es wird bei keinem Aufenthalt ausgelassen - der Prado.
Alte Meister. Nicht nur, weil dort, im Museo Nacional del Prado, so der ganze Name, Thomas Bernhard Stammgast war. Um den Werken des verehrten Goya einen Besuch abzustatten. Ich ziehe "Alte Meister" aus einer Rocktasche. Es sei "für ein Museum wie das Kunsthistorische Museum geradezu tödlich", keinen Goya zu besitzen, lässt TB da Richtung Wien lästern. Aus der anderen Rocktasche ziehe ich "Ritter, Dene, Voss": "Porträts sind immer schlecht gemalt", lese ich, "außer sie sind von Goya".
Goya, Veláquez & Co. Darüber lässt sich naturgemäß streiten. Naturgemäß am besten vor den derart geadelten Bildnissen. Wie auch immer. Der in den letzten Jahren vom sensiblen Planer Rafael Moneo enorm erweiterte Prado ist zweifellos in Sachen Francisco José de Goya y Lucientes nicht zu übertreffen. Auch nicht, was Meister Diego Velázquez betrifft. Der Saal, in dem dessen berühmtestes Bild hängt, wird hinter meinem Rücken mit fröhlichen "Las Meninas"-Rufen gestürmt. Die kleinen Experten sind höchstens acht, aber bestens informiert. Die Lehrerin strahlt. Gute Arbeit.
WALTER TITZ