Dass einer wie Wilfried Stanzer auf seine alten Tage noch Fremdenführer geworden ist, ist schon irgendwie ein Witz. Ausgerechnet er, der Einzelgänger mit dem rostigen Charme, der Steirer, der in seinem Leben nie die Hauptstraße genommen hat, sondern immer den Umweg, querfeldein durchs Gelände – mit nicht viel mehr als einer Kamera und einer Wasserflasche im Gepäck. Dokumentarfilmer war er, Lebenskünstler ist er geblieben und ein bunter Hund. Und einer der Marokko wie seine Westentasche kennt. Vielleicht ist's ein bisschen der Versuch einer Rache am Schicksal, dass er die Touristen, die er jetzt das halbe Jahr durch Marokko karrt, am liebsten über die buckligsten Pisten und steinigsten Pfade des Landes lotst. Dort, wo alles außer Jeep, Maultier und trainierte Beinmuskulatur den Geist aufgibt.

Farbenrausch. Aber es ist nicht weniger als sein Marokko, Stanzers Marokko, das man hier zu sehen bekommt. Ein Land, das bei der Fahrt durch den Hohen Atlas alle fünf bis 15 Kilometer ein völlig anderes wird: wo sich bizarre Steinformationen in Ocker und Rot mit knalligen Blüteninseln und sattem Grün abwechseln. Bilder, von denen das Auge rauschig wird. In dem Zustand kann keiner mehr Nein sagen zu Stanzers Wahlheimat. Das weiß der Mann, der jetzt endlich erzählen kann, warum er wirklich Reiseführer ist: Weil bei ihm jeder Weg durch das Land nur ein Umweg nach Amassine ist.

Zweite Heimat. "Mein Dorf" sagt Stanzer zu dem kleinen Nest, das sich in 2000 Meter Seehöhe an den Hang eines erloschenen Vulkans drückt. Nur 270 Kilometer sind es von Marrakesch über den Hohen Atlas in Richtung Sahara bis hier her. Der Jeep braucht trotzdem fünf Stunden, bis wir die einfachen Lehmhäuser mit den grünen Terrassen rundum erreicht haben. Wie gesagt: Das ist Zeit genug, dem Farbrausch zu erliegen und dabei den wichtigsten Teil von Stanzers Marokko-Geschichte zu hören. Hier wird aus dem Abenteurer Stanzer der international anerkannte Teppichwissenschaftler mit einem eigenen Entwicklungshilfeprojekt. Dieses Projekt heißt Amassine.