Ein paar Geier blicken „mit gemeiner Gleichgültigkeit“ von einem Dach. Oder Wasserbüffel stapfen „mit vorweltlichem Gang“ durch das fesseltiefe Wasser eines Reisfeldes. Und Wien ist „eine Stadt würdeloser Ruinen“.  Da wählt ein Autor seine Attribute mit stilbewusster Souveränität. Es geht hier um Mexiko, um Vietnam – und um das Wien der ersten Nachkriegsjahre in der Kriminalstory „Der dritte Mann“. Bombenzerstörten Häusern fehlt tatsächlich die würdevolle Romantik dahindämmernder Burgruinen.

Graham Greene schrieb Weltliteratur und viele seiner Bücher wurden auch verfilmt. Aber jetzt ist er 30 Jahre tot. Ist er da nicht doch ein wenig – entrückt?

Ein Anruf bei der Grazer Buchhandlung Moser zeigt, dass acht seiner Werke derzeit lieferbar sind – als dtv-Taschenbuch. Darunter drei Romane, die ihn berühmt gemacht haben: „Die Kraft und die Herrlichkeit“, „Am Rande des Abgrunds“ und „Das Herz aller Dinge“. Der vierte, „Das Ende einer Affäre“, wird gerade neu aufgelegt.

Zu Greenes 80. Geburtstag hatte Joachim Fest, Zeithistoriker und langjähriger Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, in einem FAZ-Beitrag hinter dem Unterhaltungstalent dieses Autors „das Pathos der Letzten Dinge“ erspürt: „Nichts anderes als diese Verbindung von handwerklicher Perfektion und existentieller Passion, von Technik und humaner Reizbarkeit hat seinen Büchern zu so großer Resonanz verholfen.“

Eine Resonanz, die offensichtlich bis heute nachwirkt.
Anthony Burgess hat dieses „Pathos der Letzten Dinge“ als „spirituelles Organ“ seines scheinbar so illusionslos-nüchternen Schriftstellerkollegen bezeichnet und Greene selbst glaubte nach eigenen Worten an „eine Kraft, deren Verständnis und Weisheit die unsere unendlich weit überragt“. Wunder, so versuchte er zu erklären, sei das Wort, das wir für das Geheimnisvolle und Unerklärliche verwenden.

Graham Greene war 14 Jahre alt, als der Erste Weltkrieg endete, und den Fall der Berliner Mauer (1989) hat er noch miterlebt. Die Irrungen und Wirrungen des 20. Jahrhunderts sind in ihm personifiziert. Auch das Suchen nach Sicherheit, nach Gewissheit, nach Antwort auf die großen Lebensfragen. Er hat verschiedene Facetten des Christentums durchlebt und von den Ideologien als Religionsersatz reizte ihn kurzfristig der Kommunismus. „Spaßhalber“, wie er später betonte.

Da war er 19 Jahre alt und spielte auch mit seinem Leben: russisches Roulette. Ein Revolver mit einer Patrone in der Trommel, an die Schläfe gesetzt und abgedrückt. Viel später, bei einem Treffen mit dem kubanischen Diktator Fidel Castro, kam die Rede auch auf diese jugendliche Todeslust. Castro fragte: „Wie oft haben Sie denn das gemacht?“ Als Greene „fünfmal“ sagte, meinte der waffenversierte Ex-Revolutionär nachdenklich: „Eigentlich müssten Sie schon tot sein.“

Mehr als 30 Bücher hat Graham Greene geschrieben und seine erzählenden Werke in „entertainments“ und „novels“ eingeteilt. Aber es konnte ihm passieren, dass eine Kriminalgeschichte unversehens in einem Beichtstuhl endete.

„Er war noch keine drei Stunden in Brighton gewesen, da wusste Hale, dass sie ihn ermorden wollten.“ So beginnt der Roman „Am Abgrund des Lebens“. Und am Schluss müht sich ein greiser Priester in einem Beichtgespräch mit einer verzweifelten 16-Jährigen, die sich umbringen wollte. Mechanisch gibt er ihr den Rat: „Wir müssen hoffen und beten.“ Und sie sagt: „Ich möchte hoffen … aber ich weiß nicht wie.“

Diese rührende Hilflosigkeit hilft dem Geistlichen, die pastorale Routine zu überwinden, und er ringt sich einen merkwürdigen Satz ab: „Du, meine Tochter, … kannst die … furchtbare … Seltsamkeit der Gnade Gottes nicht ermessen – so wenig wie ich oder sonst jemand.“
So hat es Greene in das „Lexikon der christlichen Weltliteratur“ von Gisbert Kranz geschafft, das 1978 im Herder-Verlag erschienen ist.

Es nützte ihm nichts, dass er sich immer dagegen wehrte, als „katholischer Schriftsteller“ bezeichnet zu werden. Greene legt auf den feinen Unterschied Wert, primär Schriftsteller zu sein, der auch katholisch ist.

Katholisch wurde er 1926, weil er wissen wollte, was seine künftige Frau glaubte – nicht aus Überzeugung: „Ich dachte, es würde uns vielleicht glücklich machen.“

Gläubig wurde er erst zwölf Jahre später.

Ich wurde unruhig“, heißt es in Greenes autobiographischer Schrift mit dem kennzeichnenden Titel „Fluchtwege“. Eine Rastlosigkeit und eine Unruhe, vor der er immer wieder in besonders gefährliche politische Unruhegebiete flüchtet. Er schreibt Reportagen für „Life“, für den „Figaro“, für die „Sunday Times“.

Ein zeremonieller Glaube, der sich im Einhalten bestimmter Rituale erschöpft, hatte ihn nie besonders interessiert. Da schon eher Theologie, die für ihn „die einzige Form von Philosophie“ war, mit der er sich eingehend beschäftigte. Im kommunistischen Mexiko des Jahres 1938, in einer Zeit der Christenverfolgung, in leeren und zerstörten Kirchen, aus denen die Priester vertrieben worden waren, entdeckt er in sich „Spuren eines gefühlsmäßigen Glaubens“ und beobachtet etwas aufmerksamer den Einfluss des Glaubens auf das Handeln.

Das „Paradox des Christentums“ hat ihn zeit seines Lebens fasziniert. Was bedeutet das: „Wer sein Leben verliert, der wird es gewinnen?“ Und stimmt es wirklich, dass die Letzten die Ersten sein werden? Oder diese provokante Forderung, seine Feinde zu lieben! Das Unbehagen über derart Fremdartiges wird ja auch von Christen gern in etwas verständlichere Begriffe übersetzt, etwa: „Liebet eure Freunde und tut ihnen Gutes, denn dann besteht einige Hoffnung, dass es euch zurückerstattet wird.“

Mit dem ersten Roman, den Graham Greene nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentliche, „Das Herz aller Dinge“, lernte er die Gefährlichkeit des Erfolges kennen. Er hatte schon Schwierigkeiten beim Schreiben und beurteilte das Werk sehr selbstkritisch. Aber es wurde ein Bestseller: „Dem Buch muss etwas von Verderbtheit anhaften, denn es sprach nur zu oft die Schwächen von seinen Lesern an. Nie habe ich so viele Briefe von wildfremden Leuten bekommen – die meisten stammen von Frauen und Geistlichen …“

Der „katholische Autor“, der nie das Bedürfnis nach einer apostolischen Mission verspürt hatte, fühlte sich verfolgt und ausgenützt von Menschen, die, wie er es formulierte, zu „Opfern der Religion“ geworden waren. Er war selbst recht sündenerprobt „und die Rufe nach seelischem Beistand trieben mich angesichts meiner Unfähigkeit zu helfen, fast zum Wahnsinn“.

Damals ging dem Schriftsteller Graham Greene die Vorstellung von einem „Glauben als einer unbewegten See“ für immer verloren.

Sein unfrommer Wunsch nach einem „Papst Johannes XXIV.“, den er in seinem letzten großen Interview äußerte, ließ erkennen, dass er schon längst wieder einen neuen Fluchtweg eingeschlagen hatte: den des Humors.

Als 1970 „Die Reisen mit meiner Tante“ erschien, war mancher Greenesüchtige enttäuscht, ja fast beleidigt – so ungewohnt unbeschwert war dieses Buch: „Mein erster Roman mit Freilauf“, wie er bekannte.
Mit dem Nahen des Todes wuchsen seine Zweifel. Aber er blieb Katholik. An einen Ort der ewigen Verdammnis wollte er allerdings nicht glauben, weil er weiter einem liebenden Gott vertraute.

Kurzer Nachtrag zum Österreich-Bezug Graham Greenes: Der Wiener Zsolnay- Verlag machte sich nach dem Zweiten Weltkrieg um die
Herausgabe der Werke des Autors in deutscher Sprache verdient.
Der langjährige Verlagschef Hans W. Polak übersetzte selbst einige seiner Bücher und die Schriftstellerin Hilde Spiel übertrug den Roman „Die Stunde der Komödianten“ ins Deutsche. Zum Film „Der dritte Mann“ schrieb Greene das Drehbuch. Ein großzügig gestalteter Fotoband zu diesem Klassiker erschien 2002 im Wiener Czernin-Verlag.

© (c) Sabine Hoffmann