Schon im Vorjahr wurde um die Maskenpflicht für Jugendliche ab der Sekundarstufe I im Unterricht erhitzt debattiert: Auf der einen Seite besorgte Eltern und Jugendanwaltschaften, die „gesundheitliche Belastungen“ für Kinder und Jungendliche vermuten, auf der anderen Seite Lehrer, die einerseits Regeln umsetzen müssen, die sich ständig ändern und dabei selbst ein Ansteckungsrisiko tragen. Jetzt fordert die Lehrergewerkschaft: Entweder Coronatest oder FFP2-Maske im Unterricht, oder es gibt keinen Unterricht. Immer mehr Lehrer fragen sich, wie viel Ansteckungsrisiko sie sich rein rechtlich gefallen lassen müssen und ob es in letzter Konsequenz nicht Körperverletzung ist, wenn sie ein Kind, das im Unterricht keine Maske trägt, gewissermaßen mit Covid-19 ansteckt. Zumal ja auch Lehrer daheim Kinder und Familienmitglieder aus Risikogruppen zu betreuen haben und in der Klasse mehr als nur entfernten Kontakt zu Schülern haben, weil es anders ja gar nicht möglich ist, Kindern zu helfen bzw. ihnen etwas zu erklären.

Zwischen Recht und Pflicht

Wir haben den Grazer Rechtsanwalt Harald Christandl zu diesem komplexen Thema befragt. Er sagt: „Grundsätzlich gilt gemäß COVID -19- Schuldverordnung 2020/21, dass in Schulen ab der Sekundarstufe I alle Personen, die sich im Schulgebäude aufhalten, verpflichtet sind, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen.“ Das Tragen einer Schutzmaske zähle somit zu den Pflichten von Schülerinnen und Schülern. Für Lehrpersonal gehört es zu den Dienstpflichten. Verweigert ein Kind das Tragen einer Maske, bietet sich, wie Christandl betont, wie bei sonstigen „Verhaltensauffälligkeiten“ der Maßnahmenkatalog schulinterner Regeln an: etwa eine Verständigung des Klassenvorstandes, die Information des Direktors, Information der Eltern etc.

Alter und Absicht

Was allerdings die konkrete Frage einer vorsätzlichen Körperverletzung durch Maskenverweigerer im Schulbereich anlangt, hängt die Antwort einerseits vom Alter des Kindes und andererseits von der subjektiven Tatseite ab, also wieweit eine konkrete Absicht dahinterstand.  Laut Christandl gilt demnach: „Minderjährige sind bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres  grundsätzlich nicht deliktsfähig und daher schuldunfähig.  Die Strafbarkeit im Sinne einer Körperverletzung wird in der Mittelschule also häufig schon an der Altersgrenze scheitern. Weiters verlangt eine Körperverletzung den bedingten Vorsatz, also dass der Schüler jemanden wissentlich und willentlich ansteckt, was bei Jugendlichen  wohl kaum zu erwarten ist." Kennt ein Schüler zwar das Risiko, wenn er keine Maske trägt, vertraut aber auf darauf, dass es zu keiner Ansteckung kommt, sprechen Juristen vom Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung.

Konkret lässt sich also sagen:

  1. Sollte als erster notwendiger Schritt der Nachweis gelingen, dass die Ansteckung von dem die Maske verweigernden Kind herrührt, was wohl schwierig sein wird, ist eher von keiner vorsätzlichen Körperverletzung auszugehen - es sei denn, es liegen bei einem unter 14-Jährigen nachweislich vorgezogene Reife und entsprechender Vorsatz vor. Christandls Rechtsmeinung: „Ich bezweifle aufgrund des Alters und des wohl fehlenden Vorsatzes eine strafrechtliche Verantwortlichkeit.“

  2. Bei über 14-Jährigen und entsprechendem Vorsatz - laienhaft „absichtliches Anstecken“ genannt -  ist hingegen, wie der Experte betont, eine strafrechtliche Verantwortlichkeit durchaus denkbar.

  3. Zivilrechtlich (beispielsweise bei Schmerzengeldforderungen) gilt für unter 14-Jährige mangels Deliktsfähigkeit de facto eine allgemeine Haftungsbefreiung (mit einzelnen Ausnahmen) – „wobei jedoch allenfalls eine Verantwortlichkeit des Aufsichtspflichtigen in Frage käme,  etwa wenn die Eltern das Kind trotz Covid-19-Erkrankung in die Schule schicken“.  Abgesehen vom verwaltungsrechtlichen Quarantäneverstoß, der hier vorliegen würde, ergibt sich hier laut  sowohl strafrechtlich als auch zivilrechtlich eine Haftung der Eltern.

  4. In der Schule wiederum geht die Aufsichtspflicht über das Schulkind auf die Lehrkraft über, die für das Tragen der Schutzmaske verantwortlich ist. Christandl warnt: „Missachtet der Lehrer vorwerfbar die Maskenpflicht, ist darin ein Verstoß gegen die Aufsichtspflicht zu erkennen und es besteht die Gefahr, dass bei folgenden Ansteckungen beispielsweise anderer Schüler der Lehrer bzw. dessen Dienstgeber für nachteilige Folgen zivilrechtlich und allenfalls sogar strafrechtlich einstehen müssen.“ Daraus folgt: Um eine Aufsichtspflichtverletzung zu vermeiden, sollten Lehrer den schulinternen Maßnahmenkatalog bei Verstößen gegen das Tragen eines Mundnasenschutzes strikt und bedingungslos einhalten.

  5. Das große Dilemma bei dieser Angelegenheit: „Wie so oft in der Covid-Gesetzgebung und -Verordnungserlassung werden den Menschen allgemeine Pflichten wie das Tragen einer geeigneten Schutzmaske und die diesbezügliche Aufsicht auferlegt, aber mit einem konkreten Maßnahmenkatalog, wie bei Verstößen vorzugehen ist, wird gegeizt“, spricht Christandl Klartext. Einfach gesagt: Betroffene werden im Regen stehen gelassen. „Die einzelnen Ministerien sprechen oft bloß allgemein von rechtlichen Folgen bei Verstößen, lassen jedoch offen, welche konkreten und zur Abhilfe raschen Maßnahmen ergriffen werden können. Was bleibt, ist demnach der Rückgriff auf bestehende rechtliche Handhaben wie die Information des Direktors ein Schulverbot, eine Meldung bei der Bezirksverwaltungsbehörde etc." Dessen ungeachtet bleibe ein rechtlicher Graubereich. "Für mich ist eine derartige Verlagerung des Haftungsrisikos beispielsweise im Bereich der Aufsichtspflicht auf den Bürger inakzeptabel“, gibt der Jurist zu Protokoll.