1. Geschiedene Elternteile beklagen sich häufig darüber, dass an ihnen gewissermaßen die ganze Arbeit hängen bleibt, obwohl eine gemeinsame Obsorge für das Kind besteht. Geht es hier überhaupt um die Obsorge?

Antwort: „Nein“, sagt die Wiener Rechtsanwältin Katharina Braun. Hier gehe es im Kern um das Kontaktrecht, früher auch Besuchsrecht genannt, durch das jeder Elternteil und das Kind das gesetzliche Recht haben, einander zu treffen. „In der Praxis verwechseln das viele mit der Obsorge und zetteln unnötigerweise einen Obsorgestreit an“, sagt die Anwältin.

2. Was genau ist nun mit Obsorge gemeint?

Antwort: Braun sagt dazu: „Dabei handelt es sich um eine Art Geschäftsführung oder Prokura betreffend das Kind. Obsorge umfasst die Bereiche Pflege, Erziehung, Vermögen verwalten und vertreten.“

3. Welchen Vorteil bringt die gemeinsame Obsorge im Scheidungsfall?

Antwort: „Damit kann zum Beispiel jeder Elternteil selbstständig Informationen über das Kind bei der Schule oder bei einem Arzt einholen“, sagt die Rechtsanwältin. Das bringt häufig eine Arbeitserleichterung mit sich: „Die Mutter kann dem Vater in diesem Fall sagen, dass er sich selbst um die Einholung der nötigen Informationen bei der Schule kümmern soll.“ Der nicht obsorgeberechtigte Elternteil muss hingegen immer seinen Ex-Partner bitten, ihm die Information beizuschaffen. Kleiner Nachsatz: „Ist einer der Elternteile ohnehin nicht aktiv, ist die gemeinsame Obsorge ebenfalls unproblematisch, weil dann der andere Elternteil ohnedies in seinen Entscheidungen frei ist.“

4. Und wenn sich die Eltern bei gemeinsamer Obsorge etwa bei der Schulauswahl für das Kind nicht einig sind?

Antwort: Grundsätzlich kann in diesem Fall jeder Elternteil sein Kind in einer anderen Schule anmelden – „und das kommt auch vor“, sagt Braun. Aber selbst ohne gemeinsame Obsorge habe der nicht obsorgeberechtigte Elternteil Informations- und Äußerungsrechte, - etwa bei der Schulauswahl oder einer Übersiedelung.

5. Was geschieht, wenn ein Paar wegen der Schulfrage vor Gericht zieht?

Antwort: Im Zuge eines Schulstreits bei Gericht wird letztlich wohl ein Sachverständiger die Entscheidung treffen. Das kostet auf der einen Seite Geld und Nerven, kann auf der anderen Seite aber auch einen Vorteil bringen: „Die Schulwahl ist für Eltern generell keine leichte Angelegenheit. So ein Gutachten kann eine fundierte Entscheidungsgrundlage sein“, sagt Braun, schränkt allerdings ein: „Die Eltern geben damit in gewisser Hinsicht auch Verantwortung ab. Denn bei ungünstigem Schulverlauf ist dann halt der Sachverständige schuld.“

6. Und wenn ein Elternteil bei gemeinsamer Obsorge die Entscheidungen des anderen nicht aus objektiven Gründen, sondern aus einem Justamentstandpunkt heraus, ständig torpediert?

Antwort: Für diese Fälle gibt es die Möglichkeit der Beschränkung der Obsorge. Braun: „In der Praxis kommt es immer wieder dazu, dass bei gemeinsamer Obsorge bei einem Elternteil zum Beispiel der Schulbereich ausgenommen ist. Der andere Elternteil ist dann in den Entscheidungen die Schule betreffend frei.“ Mit der Information, dass die Beschränkung der Obsorge möglich ist, entschärfe man so manche Streitigkeit.

7. Schließt gemeinsame Obsorge aus, dass ein Elternteil mit dem Kind entgegen dem Wunsch des Ex-Partners in ein anderes Bundesland oder gar ins Ausland ziehen kann?

Antwort: „Nein“, sagt die Juristin. Bei gemeinsamer Obsorge – auch wenn das Kind gleich viel Zeit bei jedem Elternteil verbringt – muss nämlich der hauptsächliche Aufenthalt festgelegt werden. Mit diesem ist das Aufenthaltsbestimmungsrecht verbunden. „Das heißt, ein Umzug innerhalb von Österreich ist generell unproblematisch“, betont Braun. Er könnte aus Kindeswohlüberlegungen aber dann verhindert werden, wenn zum Beispiel mit dem Umzug kurz vor dem Ende des Schuljahres ein Schulwechsel verbunden wäre, der dem Kind unzumutbar ist. Ebenso könne der andere Elternteil so gut wie nie einen Verzug des Kindes ins Ausland mit jenem Elternteil verhindern, bei dem es sich hauptsächlich aufhält. „Auch nicht bei gemeinsamer Obsorge.“

8. Eigenmächtiges Verhalten eines Elternteils kann bei gemeinsamer Obsorge aber auch dazu führen, dass dem unbedacht agierenden Elternteil die Obsorge entzogen wird?

Antwort: „Ein eigenmächtiger Umzug ins Ausland stellt eine Entführung nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen dar“, warnt Braun. Die juristisch richtige Vorgangsweise: „Vor dem Umzug ist ein Antrag bei Gericht auf Verlegung des hauptsächlichen Wohnsitzes ins Ausland zu stellen.“

9. Die gemeinsame Obsorge ist mittlerweile das Standardmodell. Wann kommt sie nicht infrage?

Antwort: Tatsächlich gibt es die alleinige Obsorge, wie Braun betont, vorwiegend nur noch in krassen Fällen der Kindeswohlgefährdung – oder ein Elternteil hat kein Interesse an der gemeinsamen Obsorge.