Sie sind jetzt seit 40 Jahren ein Liebespaar und haben als Therapeuten Hunderte Paare begleitet. Was steht in Ihrem neuen Buch „Liebe, wie geht’s?“, das Sie vor 10 oder 20 Jahren sicher nicht so geschrieben hätten?

SABINE BÖSEL: In unseren ersten Büchern ging es um große Themen: etwa ums Verzeihen und Loslassen. In den letzten Jahren hat sich mehr und mehr gezeigt, dass es häufig Kleinigkeiten sind, an denen eine Beziehung scheitert: Oft geht es tatsächlich nur um ein paar Wörter.
Zu behaupten, man wisse, wie Liebe geht, ist aber schon mutig.
ROLAND BÖSEL: Wir haben den Titel auch bewusst als Frage formuliert. Unser Ziel beim Schreiben war, eine gewisse Demut zu zeigen. Wir sind auch nur die, die sich immer wieder bemühen. Letztlich geht es darum, Impulse zu geben. Unser letztes Buch stammt von 2009, seit damals bin ich zu dem Menschen gereift, der weiß, dass er mit der richtigen Frau verheiratet ist. Das hätte ich mich vor zehn Jahren nie so zu sagen getraut, auch wenn es sich tief innen schon so angefühlt hat. Ich lebe mit dem Bewusstsein, dass ich die Frau an meiner Seite habe, die ich liebe und die mich liebt. Das war in unseren 43 Jahren Beziehung lange nicht so.

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Die Grundbotschaft in Ihrem Buch ist, dass Liebe kein Zustand ist, sondern Aktivität.

ROLAND: Man muss dazusagen, dass es mit Aktivität allein auch nicht geht. Beziehung hat die Dimension von Gelingen. Es braucht auch ein bisschen Glück – etwa zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Und mit dem „Dranbleiben“ an der Beziehung ist auch gemeint, dass man sich selbst hinterfragen muss. Was trage ich denn dazu bei, dass etwas so schwierig ist?

Schwierig macht es häufig nur die Art, wie man miteinander kommuniziert?

SABINE: Ja, Wörter wie „immer, nie oder nur“ schleichen sich leicht in Sätze ein und dann kommt es zur Eskalation. Man sollte anderen auch keine Vorwürfe machen, sondern Ich-Botschaften formulieren: Also zum Beispiel: „Ich ärgere mich, wenn ...“ Auch mit dem Timing ist das so eine Sache: Vieles, was man sagt, ist sicher gerechtfertigt, aber eben nicht gerade dann, wenn der andere im Stress ist.
ROLAND: Wenn es um aufreibende Macken des anderen geht, ist es auch sinnvoll, Nerviges mit etwas Schönem zu kombinieren und so die Aufmerksamkeit auf das Schöne zu lenken. Ich selbst schaue zum Beispiel oft grantig drein, ohne dass mir das bewusst ist. Meine Frau sagt in diesen Situationen jetzt immer: „Schatzi, schenk mir ein Lächeln!“, und das funktioniert.

Jeder hat seine berühmten roten Knöpfe, die der andere möglichst nicht drücken sollte, sonst gibt es verlässlich bösen Streit. Was ist der Ausweg?

SABINE: Wenn Sie etwas wirklich aufregt, dann sind das nicht kleine Macken, von denen wir vorhin gesprochen haben, dann geht das tiefer, und dann gilt die 90:10-Regel. Soll heißen: Es hat zu 90 Prozent etwas mit der eigenen Geschichte, Kindheit und Erziehung zu tun. Nur an zehn Prozent unserer Frustration ist allein die aktuelle Situation schuld. Bei den berühmten roten Knöpfen lohnt es sich also, zu schauen, was dahintersteckt, an welche Situation Sie in diesen Momenten erinnert werden. Es gibt immer wieder Menschen, die mich persönlich aufregen, Roland sagt mir dann meistens: „Der Mann erinnert dich an deinen Vater, der auch nie reden wollte.“ Ich muss mir in diesen Situationen also in Erinnerung rufen: „Okay, das sind nicht meine Eltern und ich bin nicht die kleine Sabine. Mittlerweile funktioniert das schon sehr schnell.
ROLAND: Ehrlicherweise muss man aber sagen: Es braucht viel Zeit, um aus seinen Mustern auszubrechen, mit eigenen Traumata zurechtzukommen. Ich bin selbst das beste Beispiel: Seit meiner Kindheit beschäftigen mich Verlassenheitsängste, ich habe immer geglaubt, dass mich Sabine irgendwann verlassen wird. Heute noch gibt es mir manchmal einen Stich, wenn sich Sabine mit Freunden triff, aber ich beruhige mich mittlerweile schnell wieder. Das wäre vor 20 Jahren nicht so gegangen. In diesem Sinne ist Liebe Aktivität -  auch indem man der Verlockung widersteht, einfach in eine neue Beziehung zu flüchten.  

Wie vermeidet man nun am besten, dass die Kommunikation in ein Minenfeld abdriftet?

SABINE: Man kann freilich sagen: „Hör auf, damit bohrst du bei mir in einer alten Wunde.“ Wenn man weiß, dass man da unbewusst etwas ausgelöst hat, ist es leichter, großzügig zu sein und es halt anders zu machen. Das gelingt freilich nicht immer, aber so gibt es eine Chance, dass alte Wunden heilen.
ROLAND: Die roten Knöpfe sind ja nie ganz weg, in Extremsituationen sind sie zumindest in abgeschwächter Form wieder da. Wir können unsere Schutzmuster unter Belastung sofort wieder hochfahren, damit verletzen wir dann andere. Deshalb ist es wichtig, dass wir in diesen Situationen gewissermaßen etwas abdampfen und uns danach beim Partner entschuldigen. Nach der Devise: „Es tut mir leid. Ich kann zwar nicht versprechen, dass das nie mehr wieder passieren wird, aber ich bleibe dran und versuche, es zu ändern.“
SABINE: In Stresssituationen funktioniert dieses Knöpfedrücken besonders gut. Ein unachtsames Wort ergibt das andere, und schon ist das Unglück passiert. Dann tut es gut, kurz innezuhalten und nachzudenken, was da gerade mit einem passiert.

Ist es eigentlich fair, den Partner ständig mit den eigenen Problemen zu belasten, auch mit den existenziellen Ängsten, die gerade jetzt um sich greifen?

SABINE: Auf jeden Fall, wenn man Glück hat, hat anderer nicht die gleichen Ängste. Wenn man Pech hat, schon, dann steigert man sich gegenseitig hinein. Das ist aber selten der Fall.
ROLAND: Die Grundthemen sind bei den Paaren schon ähnlich, aber die Schutzmuster sind meist grundverschieden. Deshalb ist man in der Verliebtheitsphase ja so begeistert vom anderen, später lässt das aber nach.