Unsere Leserin wohnt seit mehr als 30 Jahren in einer Eigentumswohnung im Stadtgebiet und hatte bisher ein gutes Auskommen mit ihren Nachbarn. Seit die Wohnung über ihr an einen jungen Mann vermietet wird, der musiziert, hat sich das allerdings geändert. „Er versucht gerade, Saxofon zu erlernen, und das stundenlang, völlig unmelodiös und atonal - es kommen immer nur Grundtöne und kurze Tonfolgen, so laut und schrill, dass ich mich in meiner Wohnung mit niemandem mehr unterhalten kann und auch beim Fernsehen kein Wort mehr verstehe“, erzählt die Frau. Sie habe den jungen Mann schon mehrmals darauf angesprochen, ihn auf eine Übungsmöglichkeit in einem vorhandenen Kellerraum verwiesen, aber keinerlei Verständnis und Rücksichtnahme erreichen können, da er der Meinung sei, im Recht zu sein. Die Coronakrise habe das Zusammenleben noch schwieriger gemacht. „Ich bin wirklich am Verzweifeln und frage mich, ob ich mir in meinem Heim diese Belästigung gefallen lassen muss oder ob man in einem Wohnhaus nicht erwarten kann, dass jeder sein Leben so einrichtet, dass er die Lebensqualität des Nachbarn nicht beeinträchtigt?“schildert sie die Belastung und möchte wissen, ob sie zumindest das Gesetz auf ihrer Seite hat.

Wir haben dazu den Leibnitzer Rechtsanwalt Jörg Grössbauer gefragt. Er sagt: „Gemäß Paragraf 364, Absatz 2, des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches sind Immissionen insoweit unzulässig, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Nachbargrundstückes oder der Nachbarwohnung wesentlich beeinträchtigen.“ Nach ständiger Rechtsprechung habe dabei der Kläger sein Nutzungsrecht und den Eingriff, also die Lärmbelästigung, zu beweisen, der Beklagte dagegen den Umstand, dass der Eingriff die vom Gesetz gezogenen Schranken nicht überschreitet – also Ortsüblichkeit (des Musizierens) gegeben ist und nur eine unwesentliche Beeinträchtigung des Nachbarn vorliegt.

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Ob eine Emission ortsüblich ist, kann man nur im direkten Vergleich der Wohnungen bzw. Grundstücke im betreffenden Gebiet feststellen. Grössbauer: „Die Ortsüblichkeit von Emissionen hängt demnach davon ab, ob schon eine größere Anzahl von Wohnungen in dieser Gegend so genutzt wird, dass Einwirkungen von ihnen ausgehen, die den zu beurteilenden Immissionen entsprechen.“ Das Saxofonspiel, unter dem unsere Leserin leidet, ist demnach nur dann ortsüblich, wenn in der näheren Umgebung, in dem Wohnviertel generell das Musizieren in der beschriebenen Intensität üblich ist und nicht nur von einer ganz geringen Anzahl von Bewohnern betrieben wird. „In seiner Entscheidung führt der Oberste Gerichtshof etwa aus, dass eine derartige Ortsüblichkeit von täglich 4-stündigem Klavierspielen im 11. Wiener Gemeindebezirk nicht anzunehmen sei; lediglich ein bis zwei Stunden täglich seien wohl noch als ortsüblich anzusehen,“ sagt der Rechtsanwalt.

Ob dem Nachbarn das Saxofonspiel verboten werden kann, hängt aber nicht nur von der Ortsüblichkeit ab, sondern - wie eingangs erwähnt - auch davon, ob die ortsübliche Nutzung der Wohnung unserer Leserin durch dieses Musizieren wesentlich beeinträchtigt wird. „Dabei ist nicht nur auf die objektiv messbare Lautstärke, sondern auch auf die subjektive Lästigkeit abzustellen“, sagt Grössbauer. Die Erheblichkeit von Störungen durch Musizieren könne auch noch dadurch gesteigert werden, dass etwa eintönige Übungen absolviert werden und dass häufige Wiederholungen stattfinden. „In diesem Zusammenhang wird wohl die von ihrer Leserin geschilderte mangelnde Fertigkeit im Saxofonspiel des Nachbarn als erheblicher unzumutbarer Faktor in die Beurteilung einzufließen haben.“

Pflicht zur Rücksichtnahme

Bei der Gesamtbeurteilung kommt es allerdings nicht darauf an, besonders (lärm)empfindliche Personen zu schützen - die Messlatte ist das Empfinden eines durchschnittlichen Menschen. „Der Oberste Gerichtshof fordert in diesem Zusammenhang einen fairen Interessenausgleich zwischen dem Interesse des Nachbarn am Saxofonspiel einerseits und dem Bedürfnis Ihrer Leserin nach Ruhe bzw. ungestörtem Wohnen“, betont der Anwalt. Daraus lasse sich die Pflicht zu gegenseitiger Rücksichtnahme und Toleranz ableiten. „Demnach wird Ihre Leserin eine gewisse Beeinträchtigung durch das Saxofonspiel in der Nachbarwohnung in Kauf nehmen müssen. Andererseits wird vom Nachbarn verlangt werden können, allenfalls zumutbare Lärmschutzmaßnahmen in seiner Wohnung vorzunehmen – und es kann dem Nachbarn auch eine Einschränkung der maximal täglich zulässigen Übungszeit und das Verbot des Spielens zu Mittag beziehungsweise nach 20 Uhr auferlegt werden.“

Welche konkreten Maßnahmen zu verfügen sind, ergibt sich, wie Grössbauer betont, aus einer Einzelfallbeurteilung, die hier nicht generell vorweggenommen werden könne. „Sollte das Saxofonspiel aus der Nachbarwohnung von Ihrer Leserin in der eigenen Wohnung tatsächlich in der geschilderten Intensität wahrgenommen werden können, stellt dies mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unzumutbare Beeinträchtigung dar, sodass – notfalls im Gerichtsweg – erhebliche Einschränkungen der täglichen Spielzeiten möglich sein sollten. Ich kann Ihrer Leserin daher nur empfehlen, sich an einen Anwalt ihres Vertrauens zu wenden“, erklärt Grössbauer.

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