Der „Fall Wiesinger“ lenkt den öffentlichen Fokus aktuell nicht nur auf Fragen der Bildungspolitik, sondern auch aufs Arbeitsrecht: Darf man seinen Arbeitgeber, ohne den Verlust seines Jobs zu riskieren, öffentlich an den Pranger stellen? Der Sonderstatus, den Susanne Wiesinger als Beamtin einnimmt, wird sie wohl vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen bewahren. In der Privatwirtschaft sieht es allerdings anders aus.

Für den Arbeitnehmer gilt eine umfassende Treuepflicht. „Der Begriff wirkt zwar veraltet, hat aber nach wie vor Relevanz im Arbeitsverhältnis“, sagt Verena Stiboller, Arbeitsrechts-Expertin der Arbeiterkammer Steiermark. Gemeint sei damit nicht Treue in persönlicher oder ethischer Hinsicht, sondern eine umfassende Verpflichtung, die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers zu schützen. "Die eigenen Äußerungen dürfen die berechtigten Interessen des Dienstgebers nicht verletzen. Die Grenzen der Treuepflicht wurden vom Gesetzgeber allerdings nicht klar festgelegt," fügt die Expertin hinzu.  An der Grenze zwischen zulässiger und unzulässiger Informationsweitergabe bestehe ein Graubereich, der sich nur im konkreten Einzelfall erfassen lasse. Auch, wenn Kritik berechtigt ist, schütze einen dies nicht automatisch vor dem Jobverlust.

Die Verbreitung von Gerüchten, von unrichtigen oder kredit- oder rufschädigenden Informationen verletzt die Treuepflicht auf jeden Fall und kann zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen. Stibollers dringender Rat: „Sie sollten versuchen, Probleme am Arbeitsplatz prinzipiell immer firmenintern - beispielsweise mithilfe des Betriebsrates - zu lösen.  Andernfalls riskieren Sie eine Entlassung.“

Judikatur zum Thema ist freilich Mangelware. In einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes aus dem Jahr 1997 wurde die Entlassung einer Vertriebsberaterim, die in einem Brief an 50 Kunden, wahre (!) Aussagen über das fragwürdige Verhalten ihres Arbeitgebers und das schlechte Betriebsklima tätigte, für gerechtfertigt erklärt.