Bei der Sache mit dem „Fressen und Gefressenwerden“ stellt im Allgemeinen ja die Natur die Regeln auf. Außer man greift in dieses Spiel ein – und sei es mit der Lupe, so wie Lena und Lukas. Neugierig beobachten die beiden Kinder von Gemüsebauer Markus Hillebrand, wie die von ihnen sehr geschätzte Raub­milbe über die Paprika­blätter spaziert und sich auf ihr Mittagessen vorbereitet: Weiße Fliegen.

Willkommen im Folientunnel südlich von Graz. Willkommen in der Welt, in der der Feind des Feindes zum Freund gemacht wurde. Begannen Pionierbetriebe schon vor 25 Jahren mit Versuchen, Marienkäfer in ihre Paradeiser-Anlagen zu locken, weil diese für ihr Leben gern Blattläuse jausnen, so hat sich der gezielte Nützlingseinsatz in den letzten Jahren professionalisiert.
Seit zwölf Jahren ganz vorne mit dabei: Sonja Stockmann, die als eine von mehreren Nützlingsberatern der Landwirtschaftskammer dafür sorgt, dass hierzulande schon rund 40 Profi-Gartenbau- und Zierpflanzenbaubetriebe mit Nützlingen ihren Chemieeinsatz um 70 bis 100 Prozent reduzieren konnten. „Es ist schön zu sehen, welchen Ehrgeiz die Betriebe hier zuletzt entwickelt haben und wie sie unbedingt ohne Pestizide auskommen wollen“, sagt die Expertin.

Der Einsatz der hungrigen Helfer erfolge auf zwei verschiedene Arten, erklärt Stockmann. Entweder werden Nützlinge wie Schwebfliege oder Marienkäfer durch den gezielten Anbau bestimmter Pflanzen als „Duftmarker“ angelockt. Das nennt sich dann „offene Zucht“.

Oder die Mücken, Fliegen, Wanzen oder Käfer kommen in teesackerlgroßen Packungen von (in Belgien, Deutschland und den Niederlanden angesiedelten) Spezialbetrieben mit der Post. Aber wie überleben diese Lebewesen den Versand quer durch Europa? Vor allem Larven reisen mit „Proviant“ in Form von Sägespänen oder Kleie, erklärt Stockmann. Ein kleines Loch für den Sauerstoff – und ab geht die Post!

Sonja Stockmann ist seit 12 Jahren professionelle Nützlingsberaterin für heimische Gartenbau- und Zierpflanzen­betriebe.
Sonja Stockmann ist seit 12 Jahren professionelle Nützlingsberaterin für heimische Gartenbau- und Zierpflanzen­betriebe. © (c) Alexander Danner


Können Nützlinge auch plötzlich zu Schädlingen werden, wenn es zu viel von ihnen gibt? „Nicht wirklich“, meint die Expertin, schließlich ernähren sich diese ja – im Gegensatz zu Schädlingen – nicht von Paprika, Paradeisern bzw. deren Blättern. „Gibt es zu viele Nützlinge, sterben sie, wenn sie zu wenige Schädlinge zu fressen ­haben, oder kannibalisieren sich.“ Daher sei immer auf ein optimales Verhältnis zwischen Nützling und Schädling zu achten. Eine Hauptaufgabe der Nützlingsberater, die im Zweiwochenrhythmus die Partnerbetriebe besuchen und ihre wissenschaftliche Expertise einbringen.

Eine Wissenschaft, die der Papa von Lena und Lukas, Markus Hillebrand, „als ­Erfolgsgeschichte“ tituliert. Sämtliche seiner Glashäuser und Folientunnel in seinem Betrieb im Süden von Graz sind aufgrund der Nützlinge pestizidfrei.

Markus Kollmann bringt auf jeder Gurkenpflanze ein Sackerl mit Nützlingen an. Andere streuen sie auf den Boden
Markus Kollmann bringt auf jeder Gurkenpflanze ein Sackerl mit Nützlingen an. Andere streuen sie auf den Boden © (c) Alexander Danner


Auch der Obmann von ­Österreichs Gemüsebauern, Fritz Rauer, wurde in seinem Betrieb in Bierbaum vom Skeptiker zum Fan: „Ich hätte vor zehn Jahren, als ich mit Nützlingen zu arbeiten begonnen habe, niemals gedacht, dass es funktioniert. Mittlerweile verwenden wir überhaupt keine Chemie bei den Pflanzen mehr.“ Wenngleich Rauer einräumt, dass das Arbeiten mit Nützlingen teurer komme als Pestizide.

Doch was hat jetzt der Hobby­gärtner davon? Baumärkte haben den Trend ­erkannt und bieten bereits ­diverse Nützlingspakete an. Hier rät Nützlingsberaterin Stockmann „aber dringend, sich auch beraten zu lassen, wie man diese am besten ­einsetzt“ – etwa über das ­Gartentelefon (033 34 31 700). Ansonsten fliegt mit den Nützlingen auch das investierte Geld davon.



Ein paar Tipps sind aber ohnehin unbezahlbar: „Egal, was man verwendet“, rät Stockmann: „Das wichtigste ist und bleibt Gelassenheit. Wenn man die allererste Blattlaus wegspritzt, werden Nützlinge niemals von selbst kommen.“ Ebenso wichtig sei es, „wieder das Beobachten zu lernen“. Sprich: Oft ist eine Lupe wichtiger als ein Handy.

„Liebesnest“, das Schlupfwespen zur Paarfindung dient. Wie bei Menschen gibt es viele andere Arten auch, die mit Partner effektiver sind
„Liebesnest“, das Schlupfwespen zur Paarfindung dient. Wie bei Menschen gibt es viele andere Arten auch, die mit Partner effektiver sind © (c) Alexander Danner