Geschichten über das Telefon beginnt man am besten mit einem kurzen Rückblick. Das ist ein guter Kniff, denn früher oder später müssen alle irgendwie lachen: die einen beim Vierteltelefon, bei dem man nie ganz sicher war, ob der Nachbar, der Bruder oder doch vielleicht der Geheimdienst mithört. Die anderen lachen spätestens bei den ersten Mobiltelefonen, die ihren Namen gar nicht verdienen: Mitunter waren die Teile so schwer, dass Mobilität nur mit erheblicher Anstrengung zu bewältigen war. Von koffergroß bis brikettähnlich. Ganz ehrlich: Der Technik wird ja gemeinhin Humorlosigkeit unterstellt, aber an der Genese des Mobiltelefons sieht man: Sie ist bisweilen zum Brüllen komisch.

Was aber jeder von uns auch ablesen kann, ist die enorme Geschwindigkeit, mit der Technologie unser Leben verändert. Evolution mag langsam und beständig sein, vom Menschen gemachte Technologie ist auf Speed ausgerichtet, auf Full Speed. Und wie es so ist mit dem Menschen: Geschwindigkeit liegt ihm nur in kontrollierten Dosen. Und trotzdem bleibt immer irgendetwas auf der Strecke, die Technologie prescht vor, die Menschen hinterher und es stellt sich die Frage: Passt noch immer alles? Fragt man US-Musiker Jack White, wird er Ihnen sagen: Nichts passt mehr. White war einer der ersten Künstler, die bei ihren Konzerten die Notbremse gezogen haben: Im Konzertsaal gilt absolutes Handyverbot.

Jack White (rechts) mag beim Konzert keine Smartphones sehen
Jack White (rechts) mag beim Konzert keine Smartphones sehen © AP (Bill Waugh)



Die Wand aus Smartphone-Bildschirmen mache eine Kommunikation zwischen Künstler und Publikum einfach unmöglich, so White. Die Lösung: Das Smartphone kommt zu Konzertbeginn in einen Beutel der US-Firma Yondr. Ein Magnetverschluss sorgt dafür, dass man es zwar mitnehmen, aber nicht verwenden kann.
Yondr, 2014 von Graham Dugoni in San Francisco gegründet, jubelt, denn Jack White war erst der Anfang. Also alles im grünen Bereich? Wohl nicht, sagen Kulturpessimisten, die Mensch-Smartphone-Symbiose hat ganz andere Folgen: Wir versuchen, in einer schnelllebigen Zeit unser Leben zu dokumentieren. Es wird geklickt, geklickt, geklickt. Das Essen, das Wetter, die schlechte Laune, das Haustier von vorn, von hinten, von oben, von links und rechts. Fast hat man das Gefühl, die Welt ist ein einziges Fotolabor. Und dabei ist es so sinnlos, wie dem Ratschlag des Karel-Gott’schen Mantras zu folgen: „Fang das Licht“, eine nette Idee, aber völlig unmöglich, zumindest mit bloßen Händen.

Fischen wir also im Trüben, wenn wir uns der Hoffnung hingeben, dass wir in irgendeiner Art und Weise die wichtigen Momente des Lebens einfangen können? Und vielleicht noch dramatischer: Ist es möglich, dass wir die wichtigsten Momente im Leben versäumen, weil wir durch den Bildschirm nur mehr Zeugen zweiter Hand sind? Die Kulturpessimisten fragen verunsichert: Wohin soll das alles noch führen? Die Kulturoptimisten antworten: Geradeaus in die Zukunft. Die Wissenschaft sagt: Wir sollten vor allem den Ball flach halten. Da ist man bei Klaus Schönberger, Kulturanthropologe an der Alpe-Adria-Universität Klagenfurt, genau an der richtigen Adresse. Und schnell wird klar, wir leiden nicht an einer Erkrankung, die uns permanent dazu zwingt, immer und überall Bilder zu machen. „Es hat mit der Verfügbarkeit von Technik zu tun“, so Schönberger, „denn es ist nichts Neues, dass bestimmte Abschnitte unseres Lebens dokumentiert werden. Der Unterschied ist, dass früher die zentralen Ereignisse in der Biografie – von Geburt bis Heirat und so weiter – festgehalten wurden. Jetzt ermöglicht es die Technik, dass Menschen theoretisch in jeder Situation fotografieren können.“

Kulturanthropologe Klaus Schönberger
Kulturanthropologe Klaus Schönberger © Kleine Zeitung Helmuth Weichselb (Weichselbraun Helmuth Weixxx Helmuth Weichselbraun / Kleine Z)

Dass wir dadurch, salopp gesagt, unser Leben verpassen, daran glaubt Schönberger nicht: „Jetzt können wir uns darüber streiten, ob das Festhalten des Momentes oder das Erleben das zentrale Moment ist. Oder ob das Festhalten des Moments auch eine Beeinträchtigung des Moments ist.“ Vielleicht ist die Diskussion auch obsolet, weil nicht mehr nur der Moment, sondern vor allem auch seine spätere Verwertung längst einen anderen, wichtigen Stellenwert erreicht hat.

Eines der beliebtesten Fotomotive: das Haustier
Eines der beliebtesten Fotomotive: das Haustier © (c) Getty Images (Mario Tama)



Schönberger bringt den vom deutschen Philosophen Gernot Böhme geprägten Begriff des „ästhetischen Kapitalismus“ ins Spiel: In einer vom Wohlstand gesättigten Gesellschaft werden wir nicht zuletzt erst durch unsere eigene Inszenierung von unserem Umfeld wahrgenommen und bewertet. Böhme spricht von der Bewertung „als das neue soziale Kapital des 21. Jahrhunderts“.
Und genau hier gilt es, so der Kulturanthropologe Schönberger, anzusetzen und den Blick darauf zu richten, „wie das Neue das Alte verändert“. Und da ist Schönberger nicht zu bremsen.

Er setzt dort an, wo die Kritik am Smartphone gerne auch mit einem Wisch eine bestimmte Gruppe mit einschließt. Ach, diese Jugend, hängt immer nur am Smartphone! Und das, obwohl längst alle Generationen das Smartphone längst im Griff haben und umgekehrt. Denn auch, wenn das Smartphone als Werkzeug Praktiken ermöglicht, die nicht neu sind, so bleibt das doch nicht ohne Veränderung. Die Hardware verändert unsere kulturelle Software, auch, weil das notwendig wird, so Kulturanthropologe Klaus Schönberger: „Es gibt am Arbeitsmarkt immer öfter die Anforderung, dass man kommunizieren kann, dass man mit Symbolen arbeiten kann, dass man sich inszenieren kann. Das muss nicht nur zwanghaft sein.“ Ganz im Gegenteil, es kann ein Vorteil sein, so der Wissenschaftler weiter: „Ich würde Jugendlichen durchaus unbewusst ein rationales Moment unterstellen. Wenn wirklich mehr Jobs in dieser Art und Weise gefragt sind, dann ist das, was sie da machen, gar nicht so doof.“

Keine Gelegenheit ohne Smartphone
Keine Gelegenheit ohne Smartphone © NurPhoto via Getty Images

Auch den Kritikern von Selfies, die nicht selten als Symptom einer Gesellschaft voller Narzissten gesehen werden, stellt Schönberger eine ganz andere Sicht entgegen: „Das Spannende an den Selfies finde ich ja auch, dass es gar nicht so oft Einzeldarstellungen sind, sondern vielfach Gruppen oder Paare und so Freundschaften unterstrichen werden. Die Technik wird eingesetzt, um unterschiedliche soziale Beziehungen zu bekräftigen, zu inszenieren, zu betonen und zu unterstreichen. Das sind ganz unterschiedliche soziale Bedürfnisse.“

Differenzierung tut not, denn die Selfiekultur ist zwar ein globales Phänomen, die Motive dahinter lassen sich jedoch nur schwer über einen Kamm scheren. Worüber jedoch absolut Einigkeit herrschen sollte, ist, dass wir dringend eine Debatte über die Nutzung des Smartphones brauchen, so auch Schönberger: „Beim Smartphone müssen an vielen Stellen neue Regeln definiert werden, denn die Selbstregulierung wird nicht stattfinden. Ich denke, dass in jeder Form der Öffentlichkeit und Halböffentlichkeit diese Form der Auseinandersetzung stattfinden muss – wie über das Rauchen auch. Wie will ich kommunizieren? Was möchte ich, dass in der Öffentlichkeit abgebildet ist? Und so weiter. Dieser Aushandlungsprozess steht an.“ Denn oft ist das Gerät als Tool der Kommunikation auch Ärgernis, nicht zuletzt im öffentlichen Raum.

Das berühmteste Selfie der Welt: Bradley Cooper und halb Hollywood bei der Oscarverleihung 2014
Das berühmteste Selfie der Welt: Bradley Cooper und halb Hollywood bei der Oscarverleihung 2014 © AP (Ellen DeGeneres)


Im chinesischen Chongqing ist man hier schon einen Schritt weiter: Es gibt einen Radweg, einen Fußgängerweg und einen Weg nur für Smartphone-Nutzer. Dabei ist das noch die leichteste Übung, denn eine Debatte – die aufgrund aktueller Fälle – längst geführt wird, ist wohl schwieriger zu lösen: Menschen, die ihre Smartphones bei Unfällen zücken. Menschen, die keinerlei Privatsphäre respektieren. Denn längst ist man nicht mehr davor gefeit, in einem simplen Moment seines Lebens von anderen Menschen fotografiert und als Lachnummer abgestempelt zu werden.

Soll das künftig unser Los sein? Im öffentlichen Raum nur ja nicht aus dem Rahmen zu fallen? Grundsätzlich gibt es dafür eine Art interne App, die nennt man Hausverstand. Aber da dieser nicht bei allen gleich gut ausgebildet ist, werden uns Debatten wohl nicht erspart bleiben. Vielleicht sollten wir bei solchen Verstößen zu einer ganz anderen Form der Strafe greifen: Wer sich mit seinem Smartphone nicht benehmen kann, der kriegt ein Vierteltelefon.