Ein Stern ist für Köche, was der Grammy für Musiker ist - die höchste internationale Auszeichnung. Im März verteilt der Restaurantführer Guide Michelin wieder seine Sterne über Wien und Salzburg. Juan Amador schaffte in Deutschland acht Jahre hintereinander die höchste Auszeichnung von drei Sternen. Seit rund einem Jahr kocht er nun in seiner Wahlheimat Österreich auf. Kann er zum ersten Mal drei Sterne nach Österreich bringen? Ein Gespräch über Kritiker, den Ehrgeiz und das Scheitern.

Wir sitzen schon eine Zeit lang vor Ihrer Küche - es geht ruhig zu, niemand schreit herum. Ist der forsche Umgangston nicht mehr zeitgemäß oder einfach nicht Ihre Art?

JUAN AMADOR: Wer herumschreit, hat seinen Job einfach nicht im Griff. Als ich Koch gelernt habe, flogen noch Töpfe durch die Gegend und „Du Arschloch“ war normal. Das kannst du nicht bringen - einerseits in der Formel 1 spielen wollen und sich hintenherum daneben benehmen.

Sie haben doch einmal einem Kritiker Hausverbot erteilt, weil er sich im Ton vergriffen hat.

JUAN AMADOR:Ja, die Küche kann er ja gern kritisieren, aber er hat auch meine damalige Frau beleidigt - er hat eben seinen Job nicht verstanden. Man muss einen Kritiker auch einmal kritisieren dürfen.

Umreißen Sie doch kurz, was ein Essenstester soll und darf.

JUAN AMADOR: Tester sollen Essen bewerten und das für den Gast dokumentieren. Da gehören keine Seilschaften dazu, keine persönlichen Geschichten, nur ein nötiges Maß an Objektivität.

Sterne und Hauben - wird generell zu viel Augenmerk auf Auszeichnungen gelegt?

JUAN AMADOR: Sie sind wichtig für den Job, den wir machen. Wir brauchen die Aufmerksamkeit - gerade in einer internationalen Stadt wie Wien mit rund 13 Millionen Übernachtungen. Warum nennen Sie Ihr Lokal Wirtshaus, obwohl Sie doch gehobene Gastronomie bieten? Man muss das international betrachten: Auberge de I'll oder Osteria Francescana - beide Lokale haben drei Sterne. Im Französischen oder Italienischen heißt es auch Gaststätte. Und im Wirtshaus gibt's einfach gutes Essen. Punkt.

22 Guide Michelins stehen mit dem Buchrücken zur Küche: Juan Amador und Küchenchef Sören Herzig mit einem rund 90 Jahre alten Guide-Michelin-Männchen
22 Guide Michelins stehen mit dem Buchrücken zur Küche: Juan Amador und Küchenchef Sören Herzig mit einem rund 90 Jahre alten Guide-Michelin-Männchen © (c) Oliver Wolf Foto GmbH

Seit der Eröffnung Ihres Wirtshauses wird spekuliert, ob Sie sich mit dem Namen der Bewertung entziehen wollen. Ist das so?

JUAN AMADOR: Ich müsste wahrscheinlich etwas ganz anderes machen - Schreiner, Schneider ... Aber ich kann nicht in die Küche gehen und mit Absicht schlechter werden. Ich mache das 30 Jahre. Was soll ich denn sonst machen? Ich kann nichts anderes.

Und damit setzen Sie sich auch wieder der Kritik aus.

JUAN AMADOR: Es ist ja nicht so, dass die Sterne eine Belastung sind, sie sind Bereicherung und Motivation. Ab dem Tag, an dem wir in Langen den dritten Stern bekommen haben, hat der Stress nachgelassen. Es war eine Bestätigung.

Wie hält man sich denn möglichst lange am Kocholymp?

JUAN AMADOR: Nachlässig darf man nicht werden, man hat die drei Sterne ja nicht für immer. Man muss dranbleiben, seinen Job konstant machen, sich weiterentwickeln - aber nicht jedes Jahr ein neues Kaninchen aus dem Hut zaubern.

Wie steht's also mit Ihrem Ehrgeiz - wollen Sie drei Sterne?

JUAN AMADOR: Natürlich will ich die wieder. Aber nicht mehr so verbissen.

Waren Sie anfangs verbissen?

JUAN AMADOR: Ja. Das geht auch nicht anders. Egal in welcher Branche, man muss sich hochkämpfen.

Während der Ausbildung jobbte er als DJ – „von Mitternacht bis sechs Uhr morgens“. Um neun Uhr stand er schon wieder in der Küche
Während der Ausbildung jobbte er als DJ – „von Mitternacht bis sechs Uhr morgens“. Um neun Uhr stand er schon wieder in der Küche © (c) Oliver Wolf Foto GmbH

Apropos Hochkämpfen: Geht man heute als Jungkoch überhaupt noch auf Wanderschaft?

JUAN AMADOR: Schon, aber man wechselt nicht mehr so häufig wie früher. Es ist auch wichtig, dass man irgendwo lange bleibt. Da kann man sich dann besser entfalten.

Früher gab's für ein Praktikum bei den Spitzenköchen Wissen, aber kein Geld. Wird man heute dafür bezahlt?

JUAN AMADOR: Wir dürfen gar niemanden umsonst einstellen, auch wenn er das will. Der Staat verhindert es.

Helfen die Sterne dabei, gute Mitarbeiter zu finden?

JUAN AMADOR: Man hat es einfacher, aber sie stehen nicht mehr Schlange. Im Service wird es schwieriger, weil die Wertschätzung für diese Zunft nicht gegeben ist. In der Gastronomie kann jeder, der Kartoffeln schälen kann, eine Kneipe aufmachen. Den Servicejob kann man nicht so einfach machen.

Kann denn jeder kochen lernen und es bis nach oben schaffen?

JUAN AMADOR: Es gibt eine Handvoll Autodidakten, die es weit gebracht haben. Das sind einfach Genies. Wenn man das nicht ist, braucht man eine fundierte Ausbildung. Aber: Entweder du hast es in dir drinnen oder nicht. Hunderttausende weltweit studieren Medizin oder Jus - und wie viele Koryphäen gibt es?

Wie menschlich geht es bei den Koryphäen in der Küche zu?

JUAN AMADOR: Man muss ein Alphatier sein, sich aber auch zurücknehmen können. Bei mir waren auch schon Topköche, die es menschlich nicht auf die Reihe gebracht haben und sich selbst im Weg gestanden sind. Nur super zu kochen, bringt dich auch nicht weiter.

Köstlichkeiten im Amador's Wirtshaus und Greißlerei"
Köstlichkeiten im Amador's Wirtshaus und Greißlerei" © (c) Oliver Wolf Foto GmbH

Was halten Sie von Wegbereitern wie Bocuse oder Witzigmann - sind das Vorbilder für Sie oder finden Sie Ihre Küche heute nicht mehr zeitgemäß?

JUAN AMADOR: Es ist ganz wichtig, dass es Vorreiter gibt, sie motivieren den Rest. Sie sind die Avantgarde - quasi die Speerspitze, die eins auf die Mütze kriegt. Das muss man sich einmal trauen! Das Hauptproblem von Nichtentwicklung ist die Angst. Man muss seinen Weg gehen und darf sich nicht irritieren lassen.

Hat Sie denn schon einmal der Mut verlassen?

JUAN AMADOR: Ich bin immer andere Wege gegangen. Wenn meine Eltern gesagt habe: Geh rechts, bin ich linksherum gegangen. Man muss ein Risiko eingehen, aber das ist doch bei allem so.

Sie haben bei Tim Mälzers Kochsendung „Kitchen Impossible“ mitgemacht ...

JUAN AMADOR: ... dabei geht es aber nicht ums Kochen, sondern darum, jemanden scheitern zu sehen. Das ist der Voyeurismus, der der Gesellschaft eigen ist. Genau da knüpft die Sendung an.

Was ist denn Scheitern für Sie?

JUAN AMADOR: Ich scheitere permanent, weil mein Anspruch hoch ist. Das gehört dazu. Du musst hinfallen, um nicht abzuheben. Niederlagen sind wichtig.

Werden Sie bald der Konkurrenz eine Niederlage bescheren?

JUAN AMADOR: Reitbauer, Nickol und andere Kollegen - wir spielen alle in einer Liga. Schade, dass es den Guide Michelin nicht flächendeckend für Österreich gibt. Viele andere Kollegen außerhalb der beiden Städte Wien und Salzburg hätten auch zwei oder drei Sterne verdient.

Wer denn zum Beispiel?

JUAN AMADOR: Andreas Döllerer, Simon Taxacher ... Sie sind geografisch zu weit weg, spielen aber in der Champions League. Deshalb muss man das relativieren: Sollten wir drei Sterne bekommen, sind wir nicht die Ersten, denn die anderen hatten keine Chance.

Klingt sportlich fair. Was wäre denn im Gegenzug ein schweres Foul in der Küche?

JUAN AMADOR: In die eigene Küche gehört nichts Fremdes - ich meine damit: nichts, was kopiert und nicht von dir ist. Bei uns sind Kochbücher verboten. Wir haben sie zwar noch artonweise im Büro, fassen sie aber nicht an. Irgendwann werde ich sie vielleicht spenden.

Weil Sie in Versuchung geraten könnten, abzukupfern?

JUAN AMADOR: Ich glaube schon, dass man im Unterbewussten manipuliert wird - da pufft eine Idee auf und wenn man darüber nachdenkt, hat man das schon irgendwo gelesen, gesehen, gegessen. Das möchte ich nicht. Den Grammy für den besten Coversong gibt's nicht. Für Köche, die nachkochen, dürfte man auch keine Sterne auspacken.