Dass markigste Geschenk, dass sich die Volksrepublik China zum 70. Jahrestag der Staatsgründung selbst geschenkt hat, ist der neue Hauptstadtflughafen in Peking. Er wurde in nur vier Jahren Bauzeit fertiggestellt und ist ein steingewordenes Zeichen für die wirtschaftliche Stärke Chinas und den Gestaltungswillen der Führung. Nicht nur den Flughafenbauern in Berlin dürfte ob des flächenmäßig größten Airports der Welt vor Neid die Kelle aus der Hand gerutscht sein. Und so betonte Staatspräsident Xi Jinping bei der Eröffnung auch stolz: „Das Projekt ist eine neue starke Quelle für die Entwicklung.“

Das Wirtschaftswunder im Reich der Mitte gelingt nicht trotz, sondern wegen seiner kommunistischen Regierung. Seit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik unter Staatschef Deng Xiaoping 1978 findet ein fast unheimlicher Aufschwung statt. Mehr als 700 Millionen Menschen wurden seither aus der Armut geholt. Dabei hat die Öffnungspolitik unter Deng und all seinen Nachfolgern bis zum heutigen Präsidenten Xi eines nie aus den Augen gelassen: Der Staat kontrolliert jedes Detail des Lebens, es herrscht ein Wunder per Dekret. Der Staat gängelt und zensiert, interveniert und diktiert. An vorderster Stelle steht dabei immer die Kommunistische Partei (KP), die seit 1949 ununterbrochen, uneingeschränkt und immer alleine geherrscht hat.

China hat den Sprung nach vorne nachgeholt, den es unter dem Staatsgründer und großen Führer Mao Zedong 1958 erfolglos versucht hat und der nach drei Jahren in der größten Hungerkatastrophe der Menschheit und einem mörderischen Chaos mündete. Mindestens 45 Millionen Menschen verloren ihr Leben, 2,5 Millionen davon allein wurden direkt ermordet. Zudem wurden 40 Prozent des Wohnraums vernichtet. Mao – damals schon in der Regierung in die zweite Reihe zurückgerückt, aber in der Partei der wirkliche Machthaber des Landes – wurde von der Regierung in Schutz genommen. 1966 entfesselte er dann die nächste Umwälzung mit der Kulturrevolution, die die letzten Zeugnisse des feudalistischen und konfuzianischen Chinas, die übrig geblieben waren, gewaltsam aus der Gesellschaft entfernte. Im Zentrum stand zwar die „Zerstörung der vier Relikte“, also alter Gedanken, alter Kultur, Gebräuche und Gewohnheiten, sie kostete aber auch mindestens 400.000 Menschen das Leben und endete erst mit dem Tod Maos. Aus dem Bauernstaat war zu dem Zeitpunkt aber noch immer keine Industrienation geworden.

Das China-Paradox

Es klingt also wie ein Paradox, dass der Sprung Chinas an die Weltspitze der Erfolg der Partei ist, die ihr Volk nach wie vor gängelt, zensiert und in allen Bereichen interveniert. „Die Botschaft der Errungenschaften unter der Ägide der Kommunistischen Partei und der damit verbundene Aufstieg Chinas in den letzten 70 Jahren trifft in großen Teilen der Bevölkerung auf Zustimmung“, sagt Kristin Shi-Kupfer. Sie ist Leiterin des Forschungsbereichs Politik und Gesellschaft der China-Denkfabrik Merics in Berlin. Vermutlich würde sie sogar aus freien Wahlen als stärkste Kraft hervorgehen, betont die China-Analystin. Der Grund: Niemand kann im Land auf mehr Erfahrung und größere Netzwerke zurückgreifen.

Dennoch habe Peking „seinem Volk bislang keine wirklich einladende, bunte, vielseitige Vision anzubieten“, beschreibt Shi-Kupfer die Spannungen, die sich am stärksten in den Demokratiebewegungen in der Sonderwirtschaftszone Hongkong zeigen. Der chinesische Traum ist im Gegensatz zum amerikanischen ein Traum von kollektiver Stärke und von Stolz, aber auch von individuellem Kampf – zu dem hat Xi in jüngster Zeit immer wieder aufgerufen mit dem Motto „Glück muss erkämpft werden“. Die Errungenschaften der Volksrepublik in den 70 Jahren seien dennoch beachtlich, hat die Denkfabrik herausgearbeitet. So sei das BIP 170 Mal so hoch wie 1949, das Einkommen der Regierung habe sich sogar um das 3000-Fache vergrößert.

Ideologische Disziplinierung

Um diesen Erfolg nicht zu gefährden, setzt Xi auf eine starke ideologische Disziplinierung. Es bauche, so Shi-Kupfer, absolut ergebene und loyale Parteikader, die zuallererst der Linie des Parteivorsitzenden folgen und im zweiten Schritt willens und in der Lage sind, die Kämpfe des 21. Jahrhunderts zu bestehen. Darin unterscheidet sich der neue starke Führer kaum vom Revolutionsführer Mao. Eine ähnliche Begeisterung im Volk genießt er auch – nur den vorgeschriebenen Personenkult vermeidet er. Das liegt auch daran, dass die KP inzwischen begriffen hat, dass die Bevölkerung der wirkliche Macher des Aufschwungs ist – trotz verpasster Liberalisierung im politischen System. Deshalb feiert China 2019 auch das Volk und nicht so sehr die Partei.