Warum tauchen ständig neue Mutationen auf?
Dass Viren mutieren, ist nicht ungewöhnlich. So hat auch Sars-CoV-2 bereits Tausende Mutationen durchlaufen. Die meisten davon sind nicht gefährlich und fallen nicht weiter auf. Einige sind allerdings bedenklich und so dominant, dass sie den Wildtyp (Anm. ursprüngliche Form des Coronavirus) sogar zurückdrängen – etwa, weil sie ansteckender sind und sich somit leichter verbreiten können.

Seit wann gibt es die indische Variante?
Im Oktober 2020 meldete die Sequenzdatenbank der Global Initiative on Sharing All Influenza Data (Gisaid) erstmals das Auftreten der Virusvariante B.1.617 (Anm. indische Variante). Im März dieses Jahres wies auch das indische Gesundheitsministerium auf die Variante hin.

Man spricht bei der indischen Variante von einer "doppelten Mutation", was kann man sich darunter vorstellen?
Die indische Variante enthält nicht nur eine, sondern gleich 13 Mutationen. Zweien davon wird besondere Beachtung geschenkt: „Diese finden sich in Bereichen, wo das Virus sich an die Zelle bindet“, sagt Andreas Bergthaler, Virologe am Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Die Erbgutveränderungen sind an den Positionen E484Q und L452R im Virusgenom zu finden. Diese beiden Veränderungen sind der Grund, warum die indische Variante auch als Doppel-Mutation bezeichnet wird. „Bei diesen Veränderungen liegt die Vermutung nahe, dass es sich um eine Fluchtmutation handeln könnte“, so der Virologe. 

Was hat diese Variante mit den bisher bekannten Mutationen gemeinsam?
Die E484Q-Mutation der indischen Variante ähnelt der Mutation E484K, die etwa bei der südafrikanischen Variante oder der erneut mutierten britischen Variante, die gerade Tirol fest im Griff hat, vorliegt. Diese Fluchtmutation hilft dem Virus, dem Immunsystem des Körpers leichter zu entwischen und somit für den Ausbruch der Erkrankung zu sorgen. „Man weiß aber noch nicht, ob E484Q denselben Effekt wie E484K hat“, sagt Bergthaler.

Andreas Bergthaler, Virologe am Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW)
Andreas Bergthaler, Virologe am Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) © cemm/franzi kreis

Bisher bekannten Mutationen wird oft nachgesagt, dass sie ansteckender seien und häufig zu schwereren Verläufen führen. Trifft das auch auf die indische Variante zu?
„Ob das zutrifft, kann man anhand der bisher vorliegenden Informationen nicht sagen“, so der Experte.  B.1.617 wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nun  als„besorgniserregend“ eingestuft. 

Spielt diese Variante in Österreich eine Rolle?
Bisher wurde die Variante in Indien und in rund 40 weiteren Ländern nachgewiesen. So etwa auch in Deutschland und Österreich. Viele Fälle gibt es hierzulande aber noch nicht. 

Wird die Impfung gegen diese Variante wirken?
Die EU-Arzneimittelbehörde (EMA) ist zuversichtlich, dass die bisher zugelassenen Impfstoffe auch vor der neuen indischen Virus-Variante schützen. Die bisher vorliegenden Daten seien "beruhigend" und deuteten auf einen "ausreichenden Schutz" hin, sagte der Direktor für Impfstrategie bei der EMA, Marco Cavaleri, am Mittwoch in Amsterdam. Die EMA-Experten würden weiterhin die Entwicklung sehr genau verfolgen und prüfen. Einige Experten vermuten derzeit außerdem, dass – wie auch bei anderen bekannten Mutationen – zumindest ein gewisser Schutz durch die Impfung garantiert werden kann. So nimmt man an, dass die Vakzine auch bei Auftreten von Mutationen zumindest vor einem schweren Covid-19-Verlauf schützen.

Was kann man tun, falls ein Impfstoff nicht gegen die Mutation wirken sollte?
Wird bemerkt, dass die Impfstoffe nicht ausreichend schützen, können die Vakzine auch verändert werden. Vor allem mRNA-Impfstoffe lassen sich sehr leicht anpassen. Dafür muss nur der genetische Bauplan leicht verändert werden. Experten sowie auch die Hersteller schätzen, dass dies in wenigen Wochen oder Monaten möglich sein sollte. Etwas länger könnte eine Impfstoffanpassung bei Vektorimpfstoffen, wie jenem von AstraZeneca, dauern. AstraZeneca selbst arbeitet aber anscheinend schon daran: Für den Herbst ist eine neue Impfstoff-Generation angekündigt, die besser vor neuen Varianten schützen soll. Was den Einsatz eines überarbeiteten Impfstoffes allerdings hinauszögern könnte, ist die Zulassung.

In Indien sind die Zahlen besorgniserregend – liegt das auch an der indischen Variante?
Vor den indischen Krankenhäusern stehen derzeit nicht selten die Patienten Schlange, denn die Neuinfektionen sind drastisch angestiegen. B.1.617 könnte laut Experten mit ein Grund dafür sein. Denn die Variante macht bereits ungefähr 60 Prozent der Neuinfektionen aus. „Aber es gibt hier auch einige andere Gründe, die vermutlich mitverantwortlich sind“, so Bergthaler. „Nach der ersten Welle hatte Indien begonnen, die meisten Maßnahmen zurückzunehmen und große Veranstaltungen mit Hunderttausenden Menschen zu erlauben. Zusätzlich ist das Gesundheitssystem in Indien für die derzeitige Situation nicht ausgelegt und es fehlt an Grundlegendem wie medizinischen Sauerstoff und antiviralen Medikamenten.“ 

Muss im Hinblick auf diese neue Variante etwas unternommen werden?
„Wichtig ist jetzt auf Indien zu schauen und zu überlegen, wie man dort helfen kann. Das Land befindet sich in einer immensen Krise und es mangelt an allem. Da darf man nicht einfach wegsehen“, so Bergthaler. Außerdem zeige die indische Variante nochmals klar, dass das Coronavirus weiter mutiert und das man auch in Zukunft beim erwarteten Auftreten neuer Virusmutationen „Vorsicht walten lassen“ sollte.