Für Mediziner ist es ein Ritterschlag, wenn ihre Arbeit im „Lancet“, einem der ältesten, renommiertesten und wichtigsten medizinischen Fachmedien, veröffentlicht wird: Thomas Gary (Angiologie), Reinhard Raggam (Angiologie) und Albert Wölfler (Hämatologie) vom LKH-Uniklinikum Graz haben jenen Mechanismus, der hinter den seltenen Thrombosen nach einer AstraZeneca-Impfung steckt, untersucht und gleichzeitig eine Diagnose- und Behandlungsstruktur aufgebaut, die in den vorigen Wochen Wirkung gezeigt hat.

„Das hat uns am meisten gefreut“, so Thomas Gary. „Die wenigen Patienten, die wir in den letzten Wochen therapiert haben, sitzen jetzt gut behütet zu Hause, niemand ist zu Schaden gekommen oder hat Folgeschäden.“

Spezielle Gerinnungstests gaben Aufschluss

Dabei war die Situation zuerst dramatisch, wie auch Reinhard Raggam bestätigt. „Die erste Patientin hat klinisch und labordiagnostisch eine verheerende Blutgerinnungssituation geboten. Die Situation war vergleichbar mit einem Elefanten, der über dünnes Eis geht: Die Gefahr einzubrechen, also dass die ganze Situation außer Kontrolle gerät, war riesengroß.

Therapiert man falsch, ist das Thrombose-Geschehen nicht beherrschbar. Heute weiß man dank der Arbeit der Mediziner und eines internationalen Expertennetzwerks, wie man vorgehen muss – zuerst war es aber ein instinktiver Blindflug.

Die Mediziner sprachen sich ab, es folgten spezielle Gerinnungstests, auf deren Basis entschloss man sich zu einem klaren, strukturiertem Vorgehen. Albert Wölfler erklärt: „Grundsätzlich wusste man von anderen Impfungen, dass es durch die Aktivierung des Immunsystems zu einem Abfall der Blutplättchen kommen kann. Das geht selten einher mit einer Blutungsneigung, aber niemals mit einer Thrombose.“

Stufenweise Behandlung

Zuerst wurde die erste Patientin mit Cortison behandelt, die Situation stabilisiert. Mit zwei neuen Patientinnen wurde auch der Mechanismus klarer, der die seltenen Thrombosen im Hirn-, Leber- oder Beckenbereich auslösen kann.

Man verabreichte in der Folge Immunglobuline, was sich aktiv auf Antikörper und Blutplättchen auswirkte, die Situation weiter entspannte. Als drittes Mittel der Wahl gilt ein spezielles Medikament (Thrombininhibitor). Mit diesen drei Maßnahmen, so die Mediziner, könne man das Erkrankungsbild einer seltenen Thrombose „binnen zwei Tagen abwenden“.

Wie man die Erkrankung erkennt

Zuerst müsse man die Erkrankung aber erkennen. Im Austausch mit ihrem internationalen Netzwerk erarbeiteten sie Erkennungsrichtlinien.

Die Symptome (Müdigkeit, Krankheitsgefühl, Kopfschmerzen) treten mehrere Tage bis drei Wochen nach der Impfung auf, dann erfolgt eine Labordiagnostik (z. B. Blutplättchenwerte, die auf ein Blutgerinnsel hindeuten und schnell verfügbar sind) sowie bildgebende Diagnostik.

So kann man rasch feststellen, ob ein Patient betroffen ist. „Denn man sieht einen unglaublich dynamischen Prozess, der falschlaufen kann, wenn man nichts macht. Bei uns hat das Erkennungsmuster schon funktioniert: Eine südsteirische Patientin war zwei Stunden nach der Untersuchung beim Hausarzt bei uns im Spital“, so die Mediziner.

Trotz der Reaktionen anderer Länder (Dänemark stoppte die AZ-Impfung, Deutschland empfiehlt Alterslimit) betont das Mediziner-Trio: Impfungen seien alternativlos, weil es keine hohen Durchseuchungs- und Impfraten gebe. Die Impfung schütze vor schweren Verläufen bei Covid-19-Erkrankungen, die häufig mit einer Thrombose einhergehen – hier sei das Risiko viel höher, als eine Impfnebenwirkung zu erleiden.

Einzige Ausnahme zur weiteren Risikominimierung: Wenn genügend Impfstoff vorhanden sei, könnte man überlegen, Frauen erst ab 60 Jahren mit AstraZeneca zu impfen.

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