Laut dem Wiener Impfexperten Herwig Kollaritsch kann "Herdenschutz" bei den infektiöseren SARS-CoV-2-Varianten kaum erreicht werden. Daher solle bis zur breiten Verfügbarkeit von Covid-19-Vakzinen, bei denen nur eine Impfdosis notwendig ist, alles darangesetzt werden, möglichst vielen Österreichern die Erstimpfung zu verabreichen.

Derzeit sind mit den beiden mRNA-Vakzinen (Pfizer/BioNTech, Moderna) und zwei Vektor-Vakzinen (AstraZeneca, Janssen-Cilag) vier Covid-19-Impfstoffe in der EU zugelassen. In Österreich basiert die Impfkampagne bisher auf den mRNA-Vakzinen und jener von AstraZeneca - jeweils mit zwei Teilimpfungen.

Aus den Erfahrungen mit allen Vakzinen, bei denen zwei Dosen  erforderlich sind, lässt sich laut Kollaritsch ableiten: "Es ist enorm wichtig, dass möglichst viele Menschen möglichst schnell die erste Teilimpfung erhalten." Der Schutz baue sich nämlich mit der Zeit auf, die zweite Teilimpfung diene vor allem dem Ausbau des Impferfolges.

Aus Israel gibt es mit dem Pfizer/BioNTech-Impfstoff bereits hervorragende Daten über die Schutzrate in der routinemäßigen Verwendung: 14 bis 20 Tage nach erster Teilimpfung gibt es eine Schutzrate gegen Infektion von 46 Prozent; 21 bis 27 Tage nach Immunisierung liegt diese bei 60 Prozent. Sieben Tage nach zweiter Teilimpfung liegt die Schutzrate bei 92 Prozent.

Das hat potenziell große Auswirkungen auch auf das österreichische Covid-19-Impfprogramm. Ursprünglich sollte die zweite Teilimpfung der mRNA-Vakzine nach drei bzw. vier Wochen erfolgen – bei AstraZeneca nach elf bis zwölf Wochen. Reizt man aber bei den mRNA das Impfintervall auf sechs Wochen aus (maximal 42 Tage) und geht man bei AstraZeneca auf die zwölf Wochen (maximal 84 Tage), gewinnt man mehr Zeit für die Erstimpfung von mehr Personen. So nutzt man die zur Verfügung stehenden Vakzine-Menge besser für die schnelle Schutzwirkung in der Bevölkerung.

"Das Ausreizen der möglichen Impfintervalle erlaubt Flexibilität und eine wesentlich raschere Animpfung der Bevölkerung mit der ersten Teilimpfung“, so Kollaritsch. Der Verzicht auf das Aufheben der zweiten Impfdosis für die bereits mit einer Dosis Geimpften, hätte den Effekt, dass bis zum 20. Juli bis zu zwei Millionen Personen in Österreich mehr erstgeimpft werden könnten.

Bei Covid-19 kommt es laut dem Wiener Experten primär auf den Schutz des Einzelnen durch die Impfung an. Der Grund dafür: Vor allem mit infektiöseren Virusvarianten ist "Herdenimmunität" – bei der ein hoher Prozentsatz immunisierter Menschen auch die Nicht-Geimpften schützt – kaum zu erreichen. Man ging vom Erreichen eines "Herdenschutzes" bei den ersten SARS-CoV-2-Stämmen vor der britischen BV.1.1.7-Variante ab einem Durchimpfungsgrad der Bevölkerung von 63 Prozent aus. "Die B.1.1.7-Virusvariante hat aber eine Basis-Reproduktionszahl von 4,5. Da müsste die Durchimpfungsrate bei 78 Prozent liegen", sagte Kolleritsch.

Diese "kollektive Immunität" sei nicht zu erreichen, vor allem, solange man Kinder und Jugendliche nicht durchimpfen könne, betonte der Experte. Bisher sind die Vakzine erst ab dem Alter von 16 bzw. 18 Jahren zugelassen. Studien zur Herabsetzung des Alterslimits laufen aber.

Mehr zum Thema