"Es ist auf jeden Fall eine dritte Welle, die Frage ist aktuell nur, wie hoch sie wird", sagt Komplexitätsforscher Peter Klimek (Complexity Science Hub Vienna). Diese Entwicklung sei auch keine Überraschung, der Anstieg der Fallzahlen sei seit Anfang des Jahres zu beobachten. 

Mit Entwicklung meint Klimek das aktuell sehr hohe und stetig steigende Niveau der täglichen Neuinfektionen. Am Freitag meldeten Innen- und Gesundheitsministerium 2668 neue Covid-19-Fälle. Die Sieben-Tage-Inzidenz für gesamt Österreich liegt bei 172, wobei es etwa mit Hermagor, Schwaz oder auch Wiener Neustadt massive regionale Unterschiede gibt.

Noch am Montag hat die Bundesregierung Lockerungsschritte bekanntgegeben, am Donnerstag schon meinte aber Gesundheitsminister Rudolf Anschober: "Wir stehen heute da wo wir im Herbst schon einmal waren." Und: "Wenn es uns nicht gelingt, die Zahlen zu stabilisieren, droht uns eine dramatische Situation." Ein Grund für die "dramatische Situation" ist die ansteckendere britische Virusvariante B.1.1.7, die vor allem in Ostösterreich stark verbreitet ist. "Der gleichzeitig Rückgang des Wildtyps, also die ursprünglichen Variante des Coronavirus, hat im Jänner und Februar für eine scheinbare Stabilisierung der Fallzahlen gesorgt", sagt Klimek. 

Ähnlich sieht das auch Gerald Gartlehner, Epidemiologe an der Donau Universität Krems. "Wir haben fast zwei Epidemien parallel laufen." Jene des Wildtyps habe man mit einem Reproduktionswert von eins gut im Griff. "Doch bei der britischen Variante ist das Bild ein anderes, diese verbreitet sich rasend schnell hier liegt der R-Wert über eins." Der R-Wert im ganzen Land liegt aktuell rund um 1,3. 

"Die Lage ist weit davon entfernt, stabil oder unter Kontrolle zu sein", sagt Klimek. Was muss also passieren, welche Maßnahmen müssen gesetzt werden? Das Infektionsgeschehen alleine mit Tests zu kontrollieren würden nicht funktionieren, so Klimek. "Dafür testen wir zu wenig und mit zu wenig sensiblen Tests." 

Schnelle, regionale Maßnahmen

Um die Lage zu stabilisieren brauche es regionale Verschärfungen, nicht Öffnungen. Damit meint Klimek die geplanten regionalen Öffnungen in Vorarlberg. "Auch dort verbreitet sich die britische Variante zusehends." Weitere großflächige Schließungen, sprich ein weiterer Lockdown, könnten noch verhindert werden, wenn ein starker Anstieg der Infektionszahlen bis nach Ostern verzögert werden kann, könnte das Trio Tests, Impfungen und Saisonalität helfen. Aber nur unter der Prämisse, dass "jetzt regionale Maßnahmen konsequent und rasch umgesetzt werden. Da geht es um jeden Tag", so Klimek. 

Peter Klimek
Peter Klimek © (c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)

"Warum Hermagor zum Beispiel nicht schon lange abgeriegelt wurde, ist die Frage", sagt Gartlehner. Eine der Begründungen für die verzögerte Abriegelgung war, dass es aktuell nicht genügend Testkapazitäten geben würde. "Da fragt man sich schon, was ist in den letzten Wochen passiert?" Auch das halbherzige Vorgehen in Schwaz oder im Pongau sei nicht nachvollziehbar. 

Was ist das Ziel? 

"Es darf uns nicht noch einmal passieren, zu spät zu reagieren, wie im Herbst", mahnt Gartlehner im Hinblick auf die Spitalskapazitäten. Einen genauen Zeitpunkt für neuerliche Verschärfungen festzumachen, sei schwierig. "Aber wenn wir bei 3000 bis 3500 Neuinfektionen täglich sind, wird es kritisch."

Klimek vermisst ein konkretes Ziel im Kampf gegen die Pandemie. "Im Herbst war es die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Ist es das immer noch? Es braucht eine klare Kommunikation der Kriterien und Ziele", meint er in Richtung Bundesregierung. "Wir haben uns eine erstklassige Infrastruktur aufgebaut, die Varianten zu überwachen, aber wir tun nichts mit dem Wissen. Das muss sich ändern." 

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