Das Wort Lockdown hat gute Chancen zum Reizwort des Jahres zu werden: Von unterschiedlichen Strategien bis zur kompletten Abschottung eines Bundeslandes oder gar Staates – Politiker und Mediziner diskutieren kontrovers die Wahl der Mittel.

Wir haben mehrere Experten zu den Lockdown-Strategien befragt. Darunter Gerhard Stark, medizinischer Leiter der Österreichischen Ordensprovinz Barmherzige Brüder (Österreich, Ungarn, Tschechien, Slowakei) – er erklärt mit seinem internationalen Blick: „Wir werden weiter lernen müssen. Wahrscheinlich werden wir uns auf ein  Mischsystem einstellen müssen, und periodisch mit harten Lockdown-Maßnahmen reagieren. So werden wir hoffentlich die Kinetik erkennen, wann wir welche Maßnahmen anwenden. In Österreich kann man sagen: Wir haben im Frühjahr zu lange zugewartet, aber im Nachhinein ist man immer gescheiter und daraus müssen wir lernen.“

Informatiker Robert Elsässer von der Universität Salzburg simulierte mit seinem Team die Auswirkungen des weichen Lockdowns Anfang November in Österreich. Der „Lockdown light“ bricht die Infektionswelle nicht, so die Ergebnisse. Erst wenn mindestens 40 Prozent der Population immunisiert sind, greifen weiche Maßnahmen.

Bis dahin seien zur effektiven Pandemie-Bekämpfung harte Maßnahmen inklusive Schulschließungen und ein starker Appell für das Homeoffice zielführend. Ob die neuen Maßnahmen in den Schulen wie der „Schichtbetrieb“ helfen würden, werde gerade simuliert. „Ich vermute sie könnten wirken“, sagt Elsässer.

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Auch wenn er die No-Covid-Strategie für Österreich eher nicht als Mittel zum Zweck sieht, meint Epidemiologe Gerald Gartlehner von der Donau-Universität Krems: „Von Australien und Neuseeland sollten wir uns die Konsequenz in der Umsetzung abschauen.“

Der schwedische Weg: "Zu früh für Beurteilungen"

Internist Gerhard Stark sieht Schweden differenziert: „Die Schweden haben einen weniger stark ausgeprägten, aber über einen längeren Zeitraum durchgeführten Lockdown versucht: Trotzdem schützte dieser Weg sie nicht den Lockdown adaptieren zu müssen, also zu verschärfen. Aber der Verlauf war milder, weil man im Sommer konsequenter als in anderen EU-Staaten war.“

Epidemiologe Gartlehner meint, es sei immer noch zu früh, um beurteilen zu können, ob dieser Weg erfolgreich sei. „Die Frage ist: Ist dieser Weg auf Mitteleuropa übertragbar? Denn die Schweden halten sich konsequenter an die Vorgaben ihrer Regierung.“ Informatiker Elsässer glaubt nicht an die Wirksamkeit in Österreich: „Laut unseren Simulationen würde das die Zahlen ansteigen lassen.“

No Covid: "Wir sind leider keine Insel"

Drei bis vier Wochen harter Lockdown, und dann regionale Öffnungen – das klingt gut und hat etwa in Australien oder Neuseeland funktioniert. „Ich glaube nicht, dass diese Strategie in Österreich realistisch ist“, sagt Epidemiologe Gerald Gartlehner. „Wir sind leider keine Insel.“

„Wir simulieren in der Regel geschlossene städtische Regionen. Wenn es in einer Stadt zu einem Ausbruch kommt, und diese dann abgeschottet wird, würde das aus Sicht der Zahlen sicherlich helfen“, betont Informatiker Robert Elsässer. Der Internist Gerhard Stark erklärt: „In einer Pandemie ist das schwierig: Es braucht einen längerfristigen Zugang und eine Art von Binnenmarkt, den man schützt – und, wo man lokale Maßnahmen machen kann. Das gelingt Ländern wie Neuseeland leichter.“

Zero Covid: "Es ist nicht realisierbar"

„Eine solche Strategie würde die Zahlen natürlich nach unten drücken. Unsere Analysen erstrecken sich jedoch nicht auf wirtschaftliche oder gesellschaftspolitische Aspekt“, betont Informatiker Elsässer.
Auch für Internist Gerhard Stark ist diese Strategie aktuell nicht umsetzbar: „Akut und in einer Pandemiesituation ist das auszuschließen. Das wäre nur mit einer extrem strengen Lockdownsituation umzusetzen, zusätzlich bräuchte es Schutzmaßnahmen und Impfungen – und das über eine lange Zeit. Sonst geht das nicht, das zeigt auch die Infektionsgeschichte.“

Epidemiologe Gerald Gartlehner steht der Zero-Covid-Strategie ebenfalls skeptisch gegenüber: „Theoretisch ist das eine noch schönere Vorstellung als No Covid, es ist aber nicht realisierbar.“

Soft Lockdown: "Er wirkt nicht wirklich"

„Die Simulation deuten darauf hin, dass selbst bei Best-Case-Annahmen ein weicher Lockdown die Ausbreitungswelle nicht brechen kann – der Prozess wird lediglich verlangsamt“, resümiert Elsässer. Als „Halbschlaf-Lockdown“ bezeichnet Epidemiologe Gartlehner diesen Lockdown. „Er wirkt nicht wirklich, das sehen wir an den Zahlen deutlich.“

Wirkungsvoller wäre ein kurzer, sehr harter Lockdown. Für einen funktionierenden soften müssten zumindest die Testungen und Nachverfolgungen rasch abgewickelt werden. Gerhard Stark dazu: „Da geht es um die Definition was soft ist. Was wir wissen: Es bewährt sich schon eine gewisse Kontinuität an Kontaktbeschränkungen und Schutzmaßnahmen, oder die Limitierung von Personen in Veranstaltungsräumen.“

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