Immer mehr Experten warnen vor der Strategie „Testen, testen, testen“ und ungezielten Massentests. Auch die Fachgesellschaft für Infektionskrankheiten, deren Präsident Sie sind, fordert, nur Menschen mit Symptomen und Kontaktpersonen zu testen. Nun weiß man, dass Infizierte bereits kurz vor Beginn der Symptome hochansteckend sind – wie sollen diese Menschen gefunden werden?

Florian Thalhammer:In einer aktuellen Studie wurde untersucht, wie viele Infizierte tatsächlich symptomlos bleiben. Es zeigte sich: Nahezu alle Menschen, die infiziert sind, zeigen auch Symptome. Der Zeitraum vor Beginn der Symptome ist sehr kurz, mit ungezielten Massentests finden wir diese Personen auch nicht unbedingt. Wir müssten regelmäßig in sehr kurzen Zeitabständen testen – damit würden wir trotzdem nicht alle Infizierten finden, aber viele falsch-positive Befunde erzeugen, die für die Betroffenen, für unser Sozialleben sowie für die Wirtschaft weitreichende Konsequenzen haben. Wir müssen uns jetzt auf „alte“ Medizinertugenden besinnen und Anamnese machen, also die Symptome und Krankengeschichte von Patienten erheben. Das viele Geld, das für präventives Testen ohne Verdacht ausgegeben wird – man spricht von knapp einer halben Milliarden Euro – kann man sicher besser anlegen: In dem wir symptomatische Patienten rascher Testen und die Kontaktpersonen von Menschen mit Symptomen rascher nachverfolgen.  

Welche Test-Strategie schlagen Sie vor, vor allem vor dem Hintergrund, dass nur ein geringer Teil der Infizierten für den Großteil der Übertragungen verantwortlich ist (Stichwort: Superspreading)?

Im Zentrum steht das Testen symptomatischer Patienten. Doch natürlich müssen in Risikobereiche andere Teststrategien gelten – dazu zählen Krankenanstalten, Gesundheitseinrichtungen sowie Risikobereiche wie Alters- und Pflegeheime. So muss ein Krankenhaus funktionstüchtig bleiben und dazu zählt das Personal als wesentlichster Faktor. Dass hier eine andere Teststrategie gelten muss, ist offensichtlich. Von Tourismustests halte ich nichts, aber dafür bin ich ein Verfechter des Mund-Nasen-Schutzes. Dazu zählen aber nicht die Schutzschilder, die man in der Gastronomie oft sieht – sie sind eine infektiologische Zumutung!

Florian Thalhammer, Präsident der Fachgesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin
Florian Thalhammer, Präsident der Fachgesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin © APA/HERBERT NEUBAUER

Viel Verwirrung herrscht auch zum Thema Verlässlichkeit von PCR-Tests: Was muss man als Laie über die Aussagekraft eines PCR-Test-Ergebnisses wissen?

Eine Polymerase-Ketten-Reaktion, kurz PCR, weist Bruchstücke von Erregern nach, jedoch ist dies weder ein Beweis für eine Infektion noch für eine bestehende Infektiosität, also darüber, ob ein Mensch noch ansteckeckend ist. Was zählt, sind die Symptome der Patienten. Wir wissen inzwischen, dass ein positives Corona-Testergebnis der Beweis für eine Covid-19-Infektion ist, wenn die entsprechenden Symptome vorliegen. Andererseits, wenn der Erkrankungsbeginn – das ergibt sich aus der Anamnese! – mehr als zehn Tage zurückliegt, findet der PCR-Test nur noch verbliebene Virus-Schnipsel, mehr nicht. Der Patient ist dann auch nicht mehr ansteckend. Daher wäre ich als Epidemie-Arzt glücklich, meine Mitarbeiter im Krankenhaus nach einem positiven Test nicht erst wieder „gesund“ testen zu müssen, sondern sagen zu können: Wenn zehn Tage vergangen sind und du 48 Stunden beschwerdefrei bist, kannst du wieder arbeiten gehen.

Was halten Sie vom Vorschlag, gezielte Stichproben-Analysen in der Bevölkerung zu machen, um so das Infektionsgeschehen besser bewerten zu können?

Solche sogenannten Sentineltests sind zu begrüßen. Das machen wir auch seit Jahren bei der Grippe so. Wenn die Grippewelle ausgerufen wird, wird nicht mehr jeder Patient auf Grippe getestet, sondern bei passender Symptomatik als Grippepatient versorgt.

Sind Antigen-Schnelltests ein echter Heilsbringer für Herbst/ Winter? Wie und wo können diese sinnvoll eingesetzt werden?

Die Antigentests, deren Qualität in teilweise widersprüchlichen Studien untersucht wird, sind zumindest ökonomische Heilsbringer, aber auch keine Lösung des Problems: Man muss diese richtig einsetzen und nicht im Gießkannenprinzip. Sie kommen an den Goldstandard PCR-Testung noch nicht heran. Da die Erfahrungswerte noch beschränkt sind, muss die Aussagekraft genau beurteilt werden. Wird ein symptomatischer Patient getestet, der Antigentest ist negativ, was heißt das jetzt? Der Patient ist Corona-negativ und hat die Grippe oder er ist positiv und muss isoliert werden? Also wird erst wieder eine PCR-Testung angeordnet.

Was fordern Sie für Herbst/ Winter und wie bewerten Sie die momentan hohen Infektionszahlen?

Die europäische Seuchenbehörde ECDC hat schon Ende Juni diesen Anstieg vorausgesagt. Ich persönlich glaube und habe gleichzeitig auch ein gewisses Verständnis dafür, dass wir zuletzt die AHA-Regeln ignoriert haben: Abstand, Händehygiene und Allgemeinmaske. Die hohen Zahlen sind Laborbefunde, jedoch nicht gleichzusetzen mit erkrankten Patienten! Die Patientenzahlen sind zwar auch nicht erbauend, wichtig ist aber, dass unsere Krankenhäuser nicht an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit kommen. Momentan sind wir davon weit entfernt. In der kühlen Jahreszeit sollten wir im eigenen Interesse die AHA-Regeln strikt befolgen, das Angebot der Grippeimpfung wahrnehmen und im Krankenhaussetting werden wir auf Influenza und SARS-CoV-2 testen.