Seit Wochen ist eine Zunahme der Infektionszahlen in Österreich zu beobachten, die Zahl der Menschen, die wegen Covid-19 im Krankenhaus oder auf den Intensivstationen behandelt werden mussten, blieb aber konstant. Ändert sich das nun?

Klaus Markstaller: Ein gewisser Prozentsatz der Covid-19-Patienten braucht die Intensivstation. Im Frühjahr waren das etwa zehn Prozent, heute sind es fünf Prozent der Getesteten. Nun ist dieser Prozentsatz heute geringer, was erfreulich ist. Aber das ändert nichts daran, dass wenn plötzlich vier-, acht- oder zehnmal so viele Menschen infiziert sind, auch die Zahl der Intensivpatienten steigt.

Diese Steigerung war für Sie also absehbar?

Wir haben befürchtet, dass dieser Anstieg im Herbst passieren kann. Dass die Infektionszahlen aber schon jetzt, im Spätsommer, dramatisch zunehmen, habe ich nicht vorhergesehen.

Klaus Markstaller ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin
Klaus Markstaller ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin © MedUni Wien/Felicitas Matern

Warum wächst der Anteil der Schwerkranken nicht im Ausmaß der Zahl der Infizierten?

Einerseits: Über den Sommer haben sich viel mehr jüngere Menschen angesteckt und es ist wissenschaftlich belegt, dass Alter ein zentraler Risikofaktor für einen schweren Verlauf ist. Auch unter Jungen werden manche schwer krank, aber es sind wesentlich weniger. Andererseits: Wir haben zwar noch keine ursächliche Therapie gegen Covid-19, aber wir sind in der Behandlung besser geworden: Wir setzen z.B. rechtzeitig Virenhemmer und Kortison ein, so können wir teilweise verhindern, dass Menschen auf die Intensivstation müssen.

Im Frühjahr wurden für Covid-19-Patienten ganze Abteilungen leer geräumt, Operationen wurden verschoben: Werden solche drastischen Maßnahmen auch im Herbst und Winter notwendig werden?

Im Frühjahr haben wir nicht gewusst, was auf uns zukommt. Wenn heute gesagt wird, dass das übertrieben war, wundert mich das, denn unmittelbare Nachbarländer, die ja auch gute Medizin betreiben hatten überfüllte Intensivstationen, Patienten konnten nicht mehr behandelt werden – in so einer Situation Intensivkapazitäten zu schaffen, war ein Gebot der Verantwortung. Jetzt versuchen wir aber, möglichst lange den Vollbetrieb im Krankenhaus aufrechtzuerhalten, um alle anderen Patienten gut zu versorgen. Klar ist aber, wenn wir zunehmend Ressourcen auf den Intensivstationen bräuchten, weil die Corona-Infektionszahlen stark steigen, könnte es auch wieder zu Einschränkungen für Patienten kommen, die nicht so akut behandelt werden müssen. Das ist aber zum Nachteil der Patienten, daher versuchen wir alles, um dies zu verhindern.

Viele kritisieren, dass sich die Medizin so sehr auf Covid-19 konzentriert und andere Erkrankungen auf der Strecke bleiben.

Das Problem mit Covid-19: Ein gewisser Prozentsatz braucht Intensivbetreuung und die Verbreitung kann rasend schnell gehen. Diese Kombination haben wir bei keiner anderen Erkrankung. Das Gesundheitssystem ist nicht auf plötzliche Veränderungen im Intensivbereich vorbereitet. Hätten wir hunderte Intensivbetten „auf Reserve“, wäre das unglaublich teuer, das können wir uns nicht leisten. Wir können kurzfristig Kapazitäten schaffen, aber wir müssen es immer irgendwo wegnehmen. Das Gesundheitsministeriums sieht rund 700 Intensivbetten für Covid-19 vor, in ganz Österreich gibt es circa 2100. Diese 700 sind im Bedarfsfall für Covid-19 vorgesehen, allerdings stehen sie nicht leer - werden sie gebraucht, müssen andere Kapazitäten eingeschränkt werden.

Im Frühjahr berichteten Sie, dass Covid-19-Patienten besonders lange auf Intensivstationen behandelt werden müssen. Hat sich daran etwas verändert?

Leider nicht. Wenn diese Erkrankung einen schweren Verlauf nimmt, dann ist es ein langwieriger Prozess, der zum Teil über Wochen geht. Das erzeugt ein weiteres Problem – die Betten bleiben lange belegt.

Was muss jetzt passieren, um für Herbst und Winter gerüstet zu sein?

Das einzige, was uns helfen würde: Die Infektionszahlen unter Kontrolle bringen. Dazu kann jeder etwas beitragen: Mund-Nasenschutz tragen, Abstand halten. Es hat sich ja inzwischen gezeigt, dass Mund-Nasenschutzmasken einen großen Effekt haben – denn wahrscheinlich ist die Schwere der Erkrankung auch davon abhängig, wie viel man vom Virus abbekommt. Wenn man Maske trägt und Abstand hält und trotzdem infiziert wird, ist es wahrscheinlich, dass es den Verlauf begünstigt. Zusätzlich brauchen wir die schnelle Verfolgung von Clustern, um Infizierte möglichst schnell zu isolieren. Das ist notwendig, um jetzt die Notbremse zu ziehen.

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