1. Die Zahl der Infizierten steigt an: Stehen wir nun vor der zweiten Welle?

Ob es wieder zum exponentiellen Wachstum wie im März kommt, hänge laut dem Simulationsexperten Niki Popper (TU Wien) davon ab, wie gut es den Behörden gelingt, Infizierte und Cluster zu entdecken und Betroffene zu isolieren. „Je höher die Zahl der Infizierten, desto schwieriger wird das“, sagt Popper. Die Situation jetzt entspreche keiner Welle, sondern es treten viele „Mini-Epidemien“ auf. Könne der Großteil dieser entdeckt und gestoppt werden, gelinge es auch, die Infektionen unter Kontrolle zu halten. „Wie bei einer Badewanne gibt es einen Zulauf durch Ansteckungen und importierte Fälle. Mit den Maßnahmen Testen, Nachverfolgen und Isolieren schöpfe ich Wasser ab – wenn jedoch der Zulauf zu stark wird, kommt man irgendwann nicht mehr hinterher“, sagt Popper. Je größer also die Zahl der Infizierten, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass das Infektionsgeschehen außer Kontrolle gerät. Es brauche laut Popper eine erhöhte Aufmerksamkeit – und schnellstmöglich ein funktionierendes Ampelsystem, um gezielt lokale Maßnahmen setzen zu können.

2. Was ist heute anders als am Anfang der Pandemie?

Vieles: „Wir haben das Virus kennengelernt, die Menschen wissen, welche Verhaltensweisen risikoreich sind und wie man Risikogruppen schützen kann“, sagt Elisabeth Puchhammer-Stöckl, Virologin an der MedUni Wien. Schon allein dadurch ist die Expertin guter Dinge, dass unkontrollierte Ausbrüche verhindert werden können. Und: Es werde mehr getestet, die Systeme haben sich besser aufgestellt. Ein weiterer wichtiger Unterschied: Das System kann eine höhere Anzahl Infizierter aushalten, weil einerseits die Mediziner besser vorbereitet sind, aber im Moment die Zahl der Menschen im Krankenhaus auch konstant niedrig ist.

3. Es gibt mehr Infizierte, aber die Zahl der Menschen im Krankenhaus steigt nicht an – warum?

„Das liegt daran, dass der Altersschnitt der Erkrankten dramatisch gesunken ist“, sagt Puchhammer-Stöckl. Das Durchschnittsalter der Erkrankten lag in der vergangenen Woche bei 33,7 Jahren – diese Altersgruppe habe auch schon früher kaum zu den Hospitalisierungszahlen beigetragen. „Infizieren sich hauptsächlich Junge und Gesunde, ist das Risiko für schwere Verläufe viel geringer“, sagt die Expertin.

4. Wird das Virus jetzt schwächer?

Die Theorie, dass sich das Virus „abschwäche“ und daher weniger Menschen schwer erkranken, stellte ein deutscher Virologe gegenüber der „Bild“-Zeitung auf. „Wir sehen keine genetischen Belege dafür, dass sich das Virus durch Mutationen abgeschwächt habe“, sagt Andreas Bergthaler, der das Projekt Mutationsdynamik von Sars-CoV-2 in Österreich leitet. Zwar mutieren Viren immer, aber dass es sich in den wenigen Monaten, in denen es existiert, so dramatisch verändere, sei sehr unwahrscheinlich, sagt auch Puchhammer-Stöckl. Da sich Viren prinzipiell an ihren Wirt anpassen und eine Koexistenz anstreben, könne man auf eine Abschwächung hoffen – das brauche jedoch Zeit.

5. Jetzt sind vor allem junge Menschen infiziert – wie schützt man die Risikogruppen?

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sagt: „Es gelingt uns gut, Risikogruppen und ältere Menschen zu schützen, hier gibt es keine Steigerung der Fallzahlen.“ Fast die Hälfte der aktuellen Testungen betreffen laut dem Minister Menschen ohne Symptome, die durch das Screening (Testen ohne Symptome) entdeckt wurden und das Virus sonst unwissentlich verbreitet hätten. Auch Popper unterstreicht: „Für die heiklen Bereiche wie Krankenhäuser und Altenheime braucht es strenge Regeln und ein Screening, um Infizierte zu entdecken.“

6. Wie reagiert die Politik auf die gestiegenen Infektionszahlen?

Anschober betont, dass die Situation trotz ähnlicher Zahlen wie im März nicht so dramatisch sei wie damals: „Wir haben derzeit kein exponentielles Wachstum und wir testen aktuell mehr“, sagt Anschober zur Kleinen Zeitung. Außerdem würde die Kontakterfassung inzwischen viel schneller arbeiten und anders als früher auch viele Personen ohne Symptome getestet werden. Darunter viele Kroatien-Rückkehrer, deren symptomfreie Infektion nun erkannt werde – und die somit gar nicht erst zu Verbreitern würden. Auch SPÖ-Chefin und Infektionsexpertin Pamela Rendi-Wagner sieht „keinen Anlass für Panik, aber für höchste Achtsamkeit: Jetzt sind vor allem Jüngere infiziert, während sich Risikogruppen offenbar besser schützen.“

7. Kann es zu einem neuerlichen Lockdown kommen?

Nicht zwingend. „Wenn es uns gut gelingt, alle drei Hauptgruppen gut einzugrenzen, bin ich optimistisch, dass wir keine zweite Welle mit exponentieller Steigerung haben werden“, sagt der Gesundheitsminister. Der Fokus liege auf regional beschränkten Clustern, engeren Kontaktpersonen und Reiserückkehrern. Rendi-Wagner fordert, über zusätzliche Maßnahmen nachzudenken: „Die kalte Jahreszeit wird eine riesige Herausforderung, wenn die Schule wieder startet und sich alles in die Innenräume verlagert. Wenn die Infektionszahlen im Herbst wieder steigen, muss die Maskenpflicht in allen Innenräumen definitiv eine Überlegung sein“, so Rendi-Wagner.

8. Alle schauen auf die Grenzen - sind Reiserückkehrer der wichtigste Faktor?

"Das ist kein unwichtiger Aspekt", sagt Niki Popper - doch es gibt ein großes Aber: "Die Dynamik der Ausbreitung passiert immer im Inland." Hier müsse die Ausbreitung kontrolliert werden. Doch der politische Reflex. so Popper, sei nun: Wenn wir das Problem an der Grenze lösen, ist alles gut - "das stimmt so aber nicht."