Der Grippeimpfung kommt im Herbst elementare Bedeutung zu: Weil mit einer zweiten Coronawelle gerechnet wird, sollen sich mehr Menschen gegen das Grippevirus impfen lassen um zu verhindern, dass das Gesundheitssystem unter der Last von zwei Viruserkrankungen zu stark belastet wird. Bisher lagen die Durchimpfungsraten gegen Grippe bei rund acht Prozent und damit viel zu niedrig, um dieses Ziel zu erreichen. Prompt erklärte die Politik vollmundig, dass die Impfrate erhöht wird.

Dafür hätte man Grippeimpfstoffe aber frühzeitig bestellen müssen. Das Gesundheitsministerium erklärte dazu: "Nachdem in der vergangenen Influenza-Saison laut Angaben der Hersteller 765.000 Dosen verimpft wurden, stehen in der kommenden Saison 1,1 Millionen Dosen zur Verfügung. Von einer Steigerung der Impfquote kann also ausgegangen werden."


Gerhard Kobinger von der österreichischen Apothekerkammer widerlegt dies aber mit einer simplen Rechnung: „200.000 sind für Kinder bestellt, 360.000 für Wien, rund 100.000 sind für Magistrate, Sanitätsdirektionen und Gesundheitskasse reserviert. Zieht man diese Impfungen ab, hat Restösterreich für die kommende Grippesaison also weniger Impfungen zur Verfügung als im letzten Jahr."


Gerald Loacker, der Gesundheitssprecher der Neos, geht noch weiter: "Das Ministerium hat die Beschaffung verschlafen." Damit meint er die komplexen Beschaffungs- und Produktionsvorgänge: Grippeimpfstoffe müssen nämlich früh bestellt werden. Sie lassen sich nicht einfach nachordern. Loacker hat auch Informationen, wonach Mitarbeiter im Ministerbüro von Rudolf Anschober mehrmals vor Ablauf dieser Bestellfristen gewarnt worden seien, aber darauf nicht reagierten. Warum sich auch Österreichs Apotheken bei den Bestellungen zurückgehalten haben, erklärt Kobinger so: Wenn das Gesundheitsministerium ohnehin groß bestellt, wie es geheißen hat, wäre man auf den Impfungen sitzen geblieben.

Das Ministerium antwortet auf die Kritik so: "Bereits seit März bemühen sich Experten des Hauses und des Bundesamts für Sicherheit und Gesundheitswesen im engen Austausch mit den diversen Stakeholdern, die Versorgung Kontingente von Influenza-Impfstoffen für Österreich zu sichern. Für den Herbst wird es ein engmaschiges Monitoring geben, um möglichst rasch reagieren zu können."


Nur: Ein "Reagieren" wird schwierig, wenn die Pharmaindustrie keine Impfstoffe mehr hat. Das Ministerium weiter: "Wir sind unmittelbar tätig geworden und haben die Beschaffung zusätzlicher Impfdosen im Rahmen des Kinderimpfprogramms beauftragt. Damit konnten sogar zusätzliche Impfstoffe für den österreichischen Markt gesichert werden, die im Vorjahr noch nicht zur Verfügung standen. Mittlerweile konnte auch eine zusätzliche Ausschreibung für Impfstoffe für Über-65-Jährige veranlasst werden." 100.000 Dosen mit dem speziellen Impfstoff soll es für Ältere geben. Weil aber die Impfbeteiligung der Über-65-Jährigen zuletzt bei rund 20 Prozent lag, ist das nicht genug: Allein die Steiermark hat mehr als 255.000 Menschen in dieser Altersgruppe.

Gerald Loacker hält fest: "Im Ministerbüro wurde einfach unterschätzt, wie viel Vorlaufzeit so eine Bestellung hat. Im April hätte man noch größere Mengen bekommen können, aber erst am 17. Juni hat man den Impfstoffherstellerverband getroffen." Auch die Ärztekammer übt laut Kritik: "Es wurde offenbar eine Grundvoraussetzung nicht geschaffen: ausreichend Influenza-Impfstoff für Österreich zu sichern. Der bestellte reicht nur dafür aus, die schwache Impfbeteiligung der letzten Jahre ein wenig zu erhöhen", bilanziert Vizepräsident Herwig Lindner.