Die Schutzmaskenpflicht in Österreichs Schulen ist gefallen: Für den Kinder- und Jugendfacharzt Hans Jürgen Dornbusch ist das „vernünftig“: „Wenn wir abwiegen, wie sehr das Maskentragen Kinder belastet und was wir über Kinder und das Virus wissen, spricht alles dafür, die Masken wegzulassen.“ Experte Volker Strenger sagt: „Es ist überraschend, dass diese Maßnahme schon nach so kurzer Zeit gekippt wird. Die Konsequenzen wird man beobachten müssen, prinzipiell ist es begrüßenswert, dass Maßnahmen immer wieder angepasst werden.“ Weiterhin sollten jedenfalls die Abstandsregeln eingehalten werden – denn das Ansteckungsrisiko steigt, je länger und je enger der Kontakt ist.

Welche Rolle spielen Kinder für die Ausbreitung der Pandemie? Das ist die entscheidende Frage, wenn es darum geht, welche Verhaltensregeln in Schulen angebracht sind und wie lange sie bestehen bleiben sollen. Das Problem: Noch gibt es auf diese Frage keine eindeutige Antwort – denn bisherige Daten liefern zwar Hinweise dafür, dass sich Kinder weniger oft anstecken und womöglich auch nur eine untergeordnete Rolle als Überträger spielen, aber: „Es gibt noch keinen Beweis dafür“, sagt Volker Strenger, Kinderfacharzt an der Med Uni Graz und Leiter der Arbeitsgruppe Infektiologie der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ).

Neu angeheizt wurde die Diskussion um die Rolle von Kindern in der Covid-Pandemie durch einen öffentlichen Disput zwischen dem deutschen Star-Virologen Christian Drosten und der „Bild“-Zeitung: Im April hatte eine Untersuchung von Drosten und seinem Team an der Berliner Charité ergeben, „Kinder könnten genauso ansteckend sein wie Erwachsene“, da bei Kindern und Erwachsenen dieselbe Viruslast im Rachen gemessen wurde. Der „Bild“-Artikel will diese Studie als falsch entlarvt haben, unzählige Wissenschaftler stellten sich sogleich hinter Drosten.

Nun ist die Drosten-Studie in einer überarbeiteten Version noch einmal erschienen - die Wissenschaftler halten darin weiterhin an ihrer Aussage fest, dass Kinder dieselbe Virusmenge im Rachen tragen und damit vermutlich ebenso infektiös seien wie Erwachsene. Gezeigt wurde das allerdings nur anhand von Rachenabstrichen - über die tatsächliche Infektiösität im realen Alltag sage die Studie aber nur wenig aus, schränken Experten ein.

"Was bisher klar ist“, sagt Strenger, „Kinder erkranken seltener an Covid-19 als Erwachsene und sie erkranken nur ganz selten schwer, meist haben sie nur milde Verläufe oder gar keine Symptome.“

Zur Frage, wie häufig sich Kinder anstecken und wie leicht sie das Virus weitergeben, gibt es noch wenige Untersuchungen, diese laut dem Kinder- und Jugendfacharzt Hans Jürgen Dornbusch aber in eine Richtung: „Zwischen Kindern passieren wenige Ansteckungen und Kinder scheinen auch in Haushalten, ganz anders als bei der Influenza, nicht die Erwachsenen anzustecken.“

Die Hinweise darauf, dass Kinder sich seltener anstecken, stammen unter anderem aus einer chinesischen Studie, die Ansteckungen in Haushalten untersuchte und wo sich zeigte, dass sich nur vier Prozent der Kinder, aber 20 Prozent der Erwachsenen in betroffenen Haushalten angesteckt haben – gleichzeitig gibt es aber auch eine zweite chinesische Studie, die zeigt, dass Kinder und Erwachsene sich gleich häufig angesteckt haben.

Weitere Hinweise kommen aus einer Untersuchung aus Island: 13.000 Menschen ohne Krankheitszeichen wurden dort auf das neuartige Coronavirus getestet, kein einziges Kind (von über 800 getesteten) unter zehn Jahren war betroffen. In der Lombardei wurde beinahe die ganze Ortschaft Vo‘ im Rahmen einer Studie getestet, auch hier war kein einziges Kind infiziert, obwohl Kinder in gemeinsamen Haushalten mit Infizierten lebten. Und dann gibt es noch das französische Kind, das sich mit dem Coronavirus angesteckt hatte und drei Schulen besuchte, da die Ansteckung unbemerkt blieb. Insgesamt hatte das Kind 172 enge Kontakte zu anderen Menschen – steckte aber keinen einzigen davon an.

Hinweise sind keine Beweise

„Diese Untersuchungen zeigen alle in die Richtung, dass Kinder eine geringe Bedeutung für die Ausbreitung des Virus spielen“, sagt Strenger – aber es sind Hinweise, keine Beweise. „Jetzt schon zu sagen, diese Tatsache sei erwiesen, ist unseriös.“ Zur Drosten-Studie kommentiert Strenger: „Die Studie ist interessant, aber die Schlüsse, die sich daraus ziehen lassen, sind beschränkt.“ Untersucht wurde nur, wie viel Virus-Genom sich auf den Tupfern findet, mit denen die Rachenabstriche gemacht wurden. „Wie viel Viren Kinder tatsächlich ausscheiden, wissen wir aus dieser Studie aber nicht“, sagt Strenger.

Dass es noch wenig belastbare Daten zur Rolle der Kinder gibt, liegt nicht nur daran, dass das Virus neu ist – auch wurden in vielen Ländern die Schulen früh in der Pandemie geschlossen. Eine Studie direkt aus Schulen liegt aus Australien vor: Dabei wurden 18 Personen (9 Schüler und 9 Lehrende) untersucht, die mit einer unerkannten Covid-Infektion in Schulen gingen – trotz vieler Kontakte (735 Schüler, 128 Lehrpersonen) wurden nur zwei weitere Schüler angesteckt. „Auch das spricht eher dafür, dass Schulen nicht der Ort der Verbreitung des Virus und Kinder nicht die Hauptverbreiter sind“, sagt Strenger. Auch für Dornbusch deutet bisher alles daraufhin, dass „Kinder nicht die Gefährder, nicht die Ansteckungsquelle für das Coronavirus sind.“

"Möglicherweise zu streng"

Wie sind unter diesen Voraussetzungen die strengen Sicherheitsmaßnahmen in Schulen zu beurteilen? „Möglicherweise sind die Maßnahmen zu streng, aber es ist besser, die Öffnung vorsichtig anzugehen und dann zu lockern“, sagt Strenger – sonst bestehe die Gefahr, dass in Schulen Cluster entstehen und diese wieder geschlossen werden müssen. Jedenfalls müsse die Entwicklung in den Schulen gut beobachtet werden.

Was der  Experte bedauert ist, dass es keinen Turnunterricht in der Schule gibt: „Unsere Fachgesellschaft hatte rund um die Schulöffnung explizit empfohlen, Turnunterricht im Freien stattfinden zu lassen – leider wurde das nicht aufgegriffen“, sagt Strenger. Turnen im Freien sei jedenfalls möglich – alle Sportarten, bei denen ein Meter Abstand gehalten werden kann und die auf Sportplätzen im Freien stattfinden können, könnten durchgeführt werden, sagt der Experte.