Covid-19 und die direkt Betroffenen sind nur ein Aspekt der SARS-CoV-2-Infektion. Ein viel größerer Personenkreis als die Infizierten selbst dürfte jetzt und in Zukunft Folgeschäden erleiden. Dazu gehören laut Claas Röhl von Pro Rare Austria Personen mit seltenen Erkrankungen. Beispiele für erschwerte bzw. mangelhafte Versorgung der Betroffenen gebe es bereits, erklärte er gegenüber der APA.

"Die Covid-19-Pandemie verursacht bei Menschen mit seltenen und chronischen Erkrankungen ungeahnte Kollateralschäden - wie eine Umfrage unter Betroffenen belegt. Es gibt einzelne Engpässe bei Medikamenten. Untersuchungen und Behandlungen werden ausgesetzt oder verschoben. Und der Kontakt zu den betreuenden Ärzten ist eingeschränkt. Das hat zum Teil nicht wieder gut zu machende Gesundheitsschäden zur Folge", stellte Röhl fest.

Der Begriff "Kollateralschaden" ist an sich schon ein Euphemismus der besonderen Qualität: In den 1960er-Jahren kam "Collateral Damage" im Rahmen des Vietnamkrieges mit den Flächenbombardements der US-Streitkräfte auf. Es waren sogenannte "Begleitschäden" ungezielter und überbordender militärischer Maßnahmen, welche besonders Zivilbevölkerung und Umwelt betreffen.

"Kollateralschäden" der SARS-CoV-2/Covid-19-Krise dürften jetzt einen weiteren Personenkreis als die direkt von der Virusinfektion Betroffenen in Mitleidenschaft ziehen. Von einer seltenen Erkrankung wird gesprochen, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen an ihr leiden. Umgekehrt sind aber in Österreich etwa 400.000 Menschen von den geschätzten 6.000 bis 8.000 sogenannten seltenen Erkrankungen betroffen.

Diese Menschen leben in Zeiten von SARS-CoV-2/Covid-19 in einer offenbar besonders riskanten Situation. Röhl berichtete: "Wir haben über unseren Dachverband eine Umfrage bei mehr als 70 Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen durchgeführt. Die Betroffenen waren schon bisher mit einer nur sehr eingeschränkten, oft sogar prekären Versorgung konfrontiert. Nun ist auch dieses System über weite Teile zusammengebrochen. Es geht um die Gesundheitsversorgung, um die Klinische Forschung, eine mögliche Triage von Patienten im Falle von Covid-19-Erkrankungen und um Belastungen in der Arbeitswelt und im Bildungssystem."

Einige Beispiele für bereits aufgetretene Probleme: Gemeldet worden seien vorübergehend Engpässe bei so existenziellen Arzneimitteln wie Immunsuppressiva, die Patienten nach einer Organtransplantation benötigen, oder bei einem Medikament, das Lupus-Erythematodes-Patienten (Tocilizumab) dringend benötigten, das aber auch für die Covid-19-Therapie infrage kommt.

Röhl sagte: "Weiters werden Verschiebungen von Untersuchungen beklagt. So erzählte etwa die Mutter einer Patientin mit einem schweren Herzfehler und einem Tumor davon, dass kaum MRT-Termine zu bekommen waren, obwohl es Anzeichen für ein Wiederaufflammen des Tumors gab."

Darüber hinaus seien in den vergangenen Wochen sämtliche Operationen und Behandlungen ausgesetzt worden, wenn sie nicht als "unaufschiebbar" gegolten hätten. Dies hätte zur Folge gehabt, dass Patienten mit Dystonie (einer neurologischen Bewegungsstörung; Anm.) die regelmäßige Behandlung per Injektion nicht erhielten. "Diese Menschen brauchen jedoch in der Regel sechs Monate, um sich von einem Krankheitsschub wieder zu erholen. Im angesehenen medizinischen Journal 'The Lancet' wurde etwa berichtet, dass durch den Fokus auf Covid-19 und die Verunsicherung der Bevölkerung Patienten in Italien nicht entsprechend behandelt wurden. So wurden Kinder von Spitälern weggewiesen oder zu spät behandelt, was sogar Todesfälle nach sich zog", stellte Pro Rare Austria fest.

Ebenfalls gravierend: das Verschieben bzw. Ausfallen von Kontrollterminen bei Ärzten und in Ambulanzen. "Bei seltenen Erkrankungen handelt es sich oft um komplexe und viele Organe betreffende Leiden. Wenn da die regelmäßig notwendigen Kontrolluntersuchungen ausfallen, wird das Risiko für akute oder chronische Schäden immer größer", so Röhl. Oft garantiere nur eine kontinuierliche Therapie einen Behandlungserfolg. Gebe es hier durch Covid-19 erzwungene längere Intervalle ohne Intervention, sei das erst recht schädlich.

Große Verunsicherung herrsche auch, wie die Vorgangsweise im Fall einer Triage (Zuteilung der zur Verfügung stehenden medizinischen Ressourcen zu bestimmten Patienten; Anm.) aussehen würde. "Vom europäischen Dachverband EURORDIS wurde nämlich aufgezeigt, dass in anderen Ländern Menschen mit seltenen Erkrankungen und einer gleichzeitigen Covid-19-Erkrankung durch Triage-Richtlinien diskriminiert wurden. In Österreich wurden die Kapazitätsgrenzen bisher glücklicherweise nicht erreicht", sagte Röhl.