Raucher sind besonders gefährdet, durch das neuartige Coronavirus zu erkranken: Diese Behauptung ist nicht nur auf den ersten Blick logisch - schließlich greift das Virus vor allem die Lunge an, die bei Rauchern besonders häufig vorgeschädigt ist -, sie wurde auch bereits durch erste Daten gestützt.

Ein erster Überblick über die aus China verfügbaren Daten zeigt eine drastisch erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen schweren Verlauf bei Raucherinnen und Rauchern: Je nach Studie erhöht sich die Gefährdung um das Doppelte bis 14-Fache. Experten schlossen aus den vorliegenden Daten, dass Rauchen als Risikofaktor für eine schwere Covid-19-Erkrankung zählt - unabhängig davon, wie alt man ist.

Kann Nikotin schützend wirken?

Auch das British Medical Journal berichtet, dass bei einer Infektion mit COVID-19 ein großer Unterschied zwischen Rauchenden und Nichtrauchenden beobachtbar war: Während 12,4 Prozent der infizierten Rauchenden mit Atemmaschine versorgt, auf der Intensivstation behandelt wurden oder sogar daran verstarben, war das nur bei 4,7 Prozent der Nichtrauchenden der Fall. Und auch das deutsche Robert-Koch-Institut zählt Raucher zur Gruppe jener Menschen, die ein erhöhtes Risiko tragen.

Nun aber gibt es eine Meldung von französischen Forschern, die folgendes besagt: Sie hätten einen überraschend niedrigen Anteil an Rauchern unter den Covid-19-Patienten beobachtet. Von den 500 Covid-19-Patienten waren nur fünf Prozent Raucher, erklärte der Studienleiter und Professor für Innere Medizin, Zahir Amoura. Das seien 80 Prozent weniger Raucher unter den Covid-Patienten als in der allgemeinen Bevölkerung in der gleichen Alters- und Geschlechtskohorte. Die Theorie der Forscher: Nikotin könnte sich an Rezeptoren der Zellen binden und das Virus am Eintritt in den Körper hindern. Daher soll nun untersucht werden, ob Nikotinpflaster einen Schutz vor einer Ansteckung bieten.

Wackelige Hypothese

Diese ganze Hypothese steht aber auf sehr wackeligen Beinen: Die Beobachtungen der Forscher basieren lediglich auf 22 befragten Patienten. Bei einer solch kleinen Gruppe könne es sehr schnell zu einem Zerrbild in der Statistik kommen, wie auch der Spiegel berichtet. Außerdem beruhen die Daten nur auf Selbstaussagen der Befragten zu ihrem Rauchverhalten - ob diese der Wahrheit entsprechen, ist offen, wie auch der Grazer Lungenspezialist Horst Olschewski (Med Uni Graz) aufzeigt.

Laut Olschewski lässt die Arbeit der Franzosen, die auch noch nicht von unabhängigen Kollegen beurteilt wurde, viele Fragen offen: "Die Methodik ist nicht ausreichend klar beschrieben, um das Ergebnis wirklich beurteilen zu können. Die eine Frage ist, ob die verglichenen Populationen tatsächlich vergleichbar waren. Die andere Frage ist, ob die Angaben zu den Rauchgewohnheiten der Wahrheit entsprochen haben. Außerdem adressiert die Studie nicht die Frage, ob die Sterblichkeit durch Covid-19 und das Rauchen zusammenhängen. Das ist aber die entscheidende Frage", sagt Olschewski.

Fakt ist aber auch: Zigarettenrauch enthält 90 Chemikalien, die krebserregend sind. Diese massiven gesundheitlichen Folgen des Rauchens sollten vordergründig beachtet werden.

UPDATE: Nun meldete sich auch die Suchtpräventionsstelle Vivid zu der Sache zu Wort - und zeigt auf, dass ein involvierter Wissenschaftler sich in der Vergangenheit von der Tabakindustrie für Studien bezahlen ließ. Zitat Vivid: "Offiziell spricht der französische Arzt Zahir Amoura über diese Hypothese. In der schriftlichen Variante ist der Erstautor allerdings Jean-Pierre Changeux. Über denselben Jean-Pierre Changeux ist bekannt, dass er sich von der Tabakindustrie für seine Forschung bezahlen lässt. Bereits 1994 sponserte die Tabakindustrie seine Forschung zu Nikotinrezeptoren, wie schließlich an die Öffentlichkeit kam. Und 2012 deckt die Zeitung Le Monde auf, dass er von der Tabakindustrie 273.500 Euro bekam, um "gefällige" Studien über Nikotin zu erstellen und zu veröffentlichen."

Fazit: Die Aussage der französischen Forscher ist eine reine Vermutung, die sich auf eine kleine Datenbasis stützt. Demgegenüber stehen Daten aus China, dass Raucher ein höheres Risiko für eine schwere Covid-Erkrankung haben. Welche Rolle Nikotin spielen könnte, wird zu erforschen sein. Jetzt aber zu sagen, Rauchen schütze vor dem Coronavirus, ist jedenfalls der falsche Schluss.